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Foto: Archiv
War shapes lives" verkündet der Schriftzug am Eingangsbereich dem Besucher. Dahinter ragt ein monumentales, mit Aluminium verkleidetes Gebäude in den wolkenverhangenen Himmel. Das Imperial War Museum North ist mit seinem silbrig-schimmernden Profil schon von weitem sichtbar. Hier, am Salford Quay, der Anfang des letzten Jahrhunderts als Umschlagsplatz für Baumwolle zu einem der wichtigsten Industriezentren der Welt wurde, steht wie ein architektonisches Wahrzeichen das von Daniel Libeskind entworfene Kriegsmuseum. Wie beim Jüdischen Museum hat sich Libeskind für einen symbolischen, skulpturalen Gebäudekörper entschieden: eine zerborstene Erdkugel, aus deren Scherben er drei riesige Einzelteile auswählte und neu verzahnt zusammengefügte - als Anspielung auf die Kriege zur See, zu Land und in der Luft und als Hinweis auf den Zerfall unserer Welt. Doch fallen die konzeptionellen Unterschiede zwischen beiden Gebäuden schnell ins Auge. In Berlin ging es Libeskind darum, eine kulturelle Leere erfahrbar zu machen, die Abwesenheit von mehr als 170.000 Juden, die vor der Shoah in Berlin gelebt hatten und während der NS-Zeit ermordet wurden. Dafür stand sein Entwurf der leeren Räume, sogenannter "voids": spärlich beleuchtet und nicht begehbar. Im Zentrum des Museums steht ein 56 Meter hoher, turmähnlicher Monolith, der einen grandiosen Rundblick auf Manchester gestattet. Hinter dem Imperial War Museum finden sich gesichtslose Bürogebäude, dazwischen ein Getreidesilo, gegenüber auf der anderen Seite des stillgelegten Manchester Ship Canal eine leere, verwahrloste Fläche. Daneben eine mondän anmutende Outlet-Einkaufsmeile für britische Billigprodukte und und schließlich The Lowry - ein 170 Millionen Euro teurer Kulturpalast für Musik, Theater und Malerei. Nur am Wochenende kommt jenes urbane Leben auf, das sich Manchester für sein Wiederbelebungsprogramm erhofft, um als Stadt attraktiv zu bleiben. Das Imperial War Museum ist das Herzstück einer vor allem mit staatlichen Lotteriemitteln wiederbelebten Industriebranche. Daran lässt auch Daniel Libeskind keinen Zweifel: "Die Umgebung ist ausgesprochen wichtig. Dieses Gebiet wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört, es gibt Luft- und Bodenverschmutzung. Das Museum konnte nur deshalb nicht tief im Untergrund verankert werden, weil das Gelände mit Schadstoffen belastet ist. Das alles gehört zur Geschichte dieses Ortes." Nichts scheint an dem Museum normal zu sein: Nur ganze zwei labyrinthische, bunkerähnliche Räume hat Libeskind geschaffen - mit unzähligen künstlich ausgeleuchteten Lichtschlitzen, schrägen Decken und spitzwinklig zulaufenden Wänden, die ein beklemmendes Gefühl der Desorientierung beim Betrachter hinterlassen. Oder der Instabilität, wie im 160 Plätze umfassenden Restaurant, das sich von außen betrachtet wie ein tosende Welle über das Dach zu bewegen scheint. Man hat in Manchester darauf verzichtet, den Besuchern massenweise historische Kriegsobjekte, Militäruniformen und Dokumente und aus den Beständen des Museums zu zeigen. Gleichwohl kann jeder, der will, einen originalen T-34-Panzer bestaunen, einen Düsenjet, einen Trabi, Tagebücher, Presseausweise von Kriegsberichterstattern oder Tapferkeitsmedaillen - alles geordnet nach thematischen und historischen Aspekten etwa über Frauen und Krieg oder den Zweiten Weltkrieg. "Wir wollen Menschen verständlich machen, wie es zum Krieg kommt", formuliert Direktor Robert Crawford seine Ziele, "wie Krieg unsere Gesellschaft verändert und was unsere Welt geformt hat." Im Mittelpunkt stehen nicht Ausstellungsgegenstände, nicht Analyse und Einordnung geschichtlicher Ereignisse. Vielmehr geht es um den Versuch, die Besucher mit einem optisch-klanglichen Sperrfeuer aus Tönen, Bildern und Geräuschen zu überwältigen, sozusagen leibhaftig am Schrecken des Krieges teilhaben zu lassen. Und das mit Hilfe einer 360 Grad umfassenden audiovisuellen Filmprojektion - "the big picture" show, die den ganzen Tag über mehrfach zu sehen ist: "Warum gibt es Krieg", "Waffen und Krieg", "Kinder und Krieg". Weitere dieser bis 20 Minuten langen Dokumentationen sind geplant. Libeskinds Ausstellungsraum entpuppt sich so als riesiger Kinosaal ohne Bestuhlung. Die Museumsmacher folgen einem überwältigungsästhetischen Konzept, um sich so auf vereinfachende Weise des Phänomens Krieg zu bemächtigen. Dazu gehört auch eine pausenlos dahinrieselnde Hintergrundmusik. Wie in den großen Produktionen Hollywoods hat man dem Szenario des Grauens einen dröhnenden Klangteppich unterlegt. Dabei nutzen die Filme die Archivbestände des Museums mit seinen Alltagsgeschichten von Überlebenden, um den Terror des Krieges zu "verlebendigen", anschaulich zu machen - zurechtgestutzt auf illustrative 10 Sekunden-Aussagen. "Die Unerreichbarkeit dieser Bilder", sagt Libeskind, "die Tatsache, dass sie aus dem Maßstab herausfallen, weil sie gleichzeitig größer sind als das Leben und kleiner als man selbst, erschafft ein neues Raumerlebnis, das dem Besucher nicht erlaubt, sich als teilnahmsloser Voyeur eines Konfliktes zu sehen, sondern ihn einbindet. Das ist der Unterschied zwischen meiner Art von Architektur und anderer Unterhaltungsarchitektur. Hier gibt es nicht die Möglichkeit, mal eben durch das Museum zu schlendern und zu sagen: 'Gut, das ist ein schöner Panzer oder eine aufregende Schlacht!' Dies ist ein Museum, wo man innehält und nachdenkt." Hier wird (zum Glück) keine bluttriefende Waffenkammer inszeniert, keine britische Heldengedenkstätte, die mit nationalem Pathos errungene Siege zelebriert. In Manchester geht es vielmehr um die Hollywoodisierung des Krieges mit den audiovisuellen Mitteln unserer modernen Kinomaschinerie: der Krieg als Unterhaltungs- und Thrill-Thema in den Räumen einer bürgerlichen Bildungsinstitution. Vielleicht vermag des Imperial War Museum Jugendliche zu motivieren, wieder eine Ausstellung zu besuchen, statt sich den virtuellen Welten des Internets hinzugeben. Ob mit der "Big Picture"-Show aber mehr als nur Augenblicksbetroffenheit erzeugt wird, das erscheint fraglich. Viel wichtiger wäre es doch, das Gesehene gerade als Ergebnis von Deutungen geschichtlicher Ereignisse kenntlich zu machen. Andernfalls könnte der Besucher historische Wirklichkeit mit der Inszenierung multimedialer Museumskultur verwechseln. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14. 7. 2002)