Europa
Tschechien hat eine neue Regierung
Havel ernennt neues Kabinett unter Ministerpräsident Spidla - Vertrauensabstimmung Anfang August
Prag - Der tschechische Präsident Vaclav Havel hat am Montag
auf der Prager Burg die neue Regierung seines Landes ernannt. Neuer
Ministerpräsident wird der Sozialdemokrat (CSSD) Vladimir Spidla. Er
führt eine Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten, konservativer
Volkspartei (KDU-CSL) und rechtsliberaler Freiheitsunion (DEU). Das
Kabinett Spidla hat im Unterhaus mit 101 von 200 Sitzen nur eine
hauchdünne Mehrheit. Havel wünschte der neuen Regierung und dem Land eine erfolgreiche
Tätigkeit des Kabinetts. Spidla zeigte sich zuversichtlich, dass
seine Regierung trotz der knappen Mehrheitsverhältnisse die gesamte
Legislaturperiode über bestehen bleiben und das Land in die EU führen
werde. Die Regierung Spidla muss innerhalb von 30 Tagen dem
Abgeordnetenhaus ihr Programm präsentieren und sich einer
Vertrauensabstimmung stellen. Diese wird voraussichtlich am 5. August
stattfinden.
In dem 17-köpfigen Kabinett stellt die CSSD elf Minister, während
die christdemokratische Volkspartei (KDU-CSL) und die rechtsliberale
Freiheitsunion-Demokratische Union (US-DEU) je drei Mitglieder
einbringen. Erstmals seit vier Jahren gibt es in der Regierung auch
zwei Frauen - im Unterschied zu der bisherigen
CSSD-Minderheitsregierung unter Milos Zeman.
Sozialdemokraten auf wichtigsten Ressorts
Mit Ausnahme des Außenministeriums, das künftig von
Volkspartei-Chef Cyril Svoboda geführt wird, besetzen die
Sozialdemokraten die wichtigsten Ressorts, darunter das
Innenministerium mit Stanislav Gross, das Verteidigungsministerium
mit Jaroslav Tvrdik, das Finanzministerium mit Bohuslav Sobotka,
sowie das Industrie- und Handelsministerium mit Jiri Rusnok.
Eine Änderung der tschechischen Politik in Bezug auf das
Atomkraftwerk Temelin schloss Rusnok am Montag in einem
Zeitungsinterview aus. "Es gibt keinen Grund für Änderungen nur
deshalb, weil man eine neue Regierung hat. Ich glaube an die
Atomenergie und bin überzeugt, dass dies die Zukunft der
tschechischen Energieindustrie ist", sagte er der tschechischen
Tageszeitung "Pravo". Zu dem jüngsten Temelin-Beschluss des
österreichischen Parlaments sagte Rusnok, "wir haben schon getan,
wozu uns die Vereinbarungen mit Österreich verpflichtet haben."
Zeman tritt in Ruhestand
Die neue Regierung ist mit einem Altersschnitt von nur 43 Jahren
deutlich jünger als das Vorgängerkabinett. Der bisherige
Ministerpräsident Milos Zeman (58) will sich in den Ruhestand
zurückziehen. Das politische Schicksal seines wichtigsten Gegenparts,
Ex-Ministerpräsident Vaclav Klaus, könnte sich auf einem
Sonderparteitag der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) entscheiden.
Nach der Niederlage der ODS bei der Wahl im Juni ist eine Ablöse
Klaus' nicht mehr ausgeschlossen.
Bei der Wahl des neuen Unterhauses Mitte Juni konnten nur die
Kommunisten Stimmen gewinnen. Die Sozialdemokraten erreichten 30,2
Prozent bzw. 70 Sitze gegenüber 32,31 Prozent und 74 Mandaten 1998.
Die Demokratische Bürgerpartei (ODS) kam auf 24,47 Prozent und 58
Mandate (1998: 27,74 Prozent; 63 Sitze). Die Kommunisten (KSCM)
verbesserten sich auf 18,51 Prozent und 41 Mandate (1998: 11,03
Prozent; 24 Sitze). Die "Koalition" - ein Bündnis aus Volkspartei und
Freiheitsunion/Demokratische Union - erreichte 14,27 Prozent und 31
Mandate. 1998 waren die beiden Gruppen getrennt angetreten und
gewannen insgesamt 17,6 Prozent der Stimmen bzw. 39 Sitze. (APA)