Wien/Washington/Peking - Noch am Wochenende ließen sich Hongkongs Bürger in ihrer Sunday Morning Post von friedlichen Aussichten berieseln, lasen von einem hohen US-Regierungsbeamten, der über George W. Bushs angeblichen Sinneswandel raunte und den Anbruch einer neuen militärischen Kooperation zwischen Washington und Peking. Doch auf der Achterbahn der amerikanisch-chinesischen Beziehungen schießt der Wagen in Wahrheit schon wieder steil bergab.In zwei offiziellen Berichten stellte Washington in den vergangenen Tagen die Weichen für eine neue Konfrontation mit China, der regionalen Großmacht, die mit dem Antritt der Republikaner im Jänner 2001 vom "strategischen Partner" zum "strategischen Mitbewerber" herabgestuft worden war. So beschuldigte die Bush-Regierung in ihrem ersten Chinabericht an den Kongress die Führung in Peking, falsche Zahlen über ihre Militärausgaben zu machen. Die jährlichen Gesamtausgaben beliefen sich in Wahrheit auf etwa 65 Milliarden Dollar (ebenso viel in Euro), schätzte das Pentagon - mehr als dreimal so viel, wie Peking offiziell angibt. "Rüsten für einen potenziellen Konflikt in der Straße von Taiwan ist der Hauptantrieb für Chinas militärische Modernisierung", führte das US-Verteidigungsministerium als Erklärung an. Zur selben Zeit ist auch ein Sonderausschuss des US-Kongresses mit einer 200 Seiten starken Bestandsaufnahme zu China an die Öffentlichkeit getreten. Seine Empfehlung: Die Regierung möge gegenüber Peking deutlich härter auftreten und ihre Politik unverzüglich überarbeiten. Republikaner wie Demokraten waren nach der Anhörung von mehr als hundert Sachverständigen zur Einsicht gelangt, dass das Verhältnis zu Peking nur schlechter werden kann: Das Handelsdefizit der USA gegenüber China werde sich ungeachtet des Beitritts des Landes zur WTO weiter vergrößern; China sei die weltgrößte Quelle für terrorunterstützende Staaten, die Raketentechnik und nukleare Waffen suchten. Tatsächlich kehren Washington wie Peking zehn Monate nach dem 11. September zu den alten Rivalitäten zurück, die der internationale Schock über die Terrorschläge nur verdeckt hatte. China sieht sich seither einer beispiellosen Umkehr der Allianzen in seiner Region gegenüber: Washington hat Militärbasen in Zentralasien aufgebaut, Pakistan und Indien an sich gebunden, ist nach zehn Jahren Unterbrechung auf die Philippinen zurückgekehrt, hat Taiwan bisher unerhört klare Zusagen zur Verteidigung gemacht, Japan und Südkorea für die internationale Antiterrorallianz in die Pflicht genommen und schließlich Russland auf Westkurs drängen können. Von einer "deutlichen Beschneidung der strategischen Manövriermarge der Volksrepublik China" spricht deshalb auch der Ostasienexperte Kay Möller in einer Analyse für die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, einem Thinktank der deutschen Bundesregierung, und nennt die Chinapolitik der USA ein "sanftes containment" - eine Politik, die von Misstrauen geprägt ist und die Eindämmung des chinesischen Einflusses verfolgt, ohne aber zu militärischen Drohgebärden zu greifen. Vor allem die Anrainerstaaten des südchinesischen Meeres sehen eine Verhärtung der US-chinesischen Beziehungen mit Sorge. Im April 2001 war dort auf der chinesischen Insel Hainan ein US-Spionageflugzeug notgelandet. Als Maßnahme gegen Taiwan und seinen Protektor USA könnte Peking nun versucht sein, bald Kurzstreckenraketen auf dem Festland zu stationieren. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 16.7.2002)