Eigentlich wollte Helmut Sihler in seiner Heimat Österreich endlich seinen Ruhestand genießen. Daraus wird zumindest in den nächsten sechs Monaten nichts. Der 72-Jährige, der im Mai 2000 nach vier Jahren den Aufsichtsratsvorsitz bei der Deutschen Telekom zurückgelegt hat, rückt nun an die Konzernspitze.Zumindest von der Sprachfärbung her müssen sich die Mitarbeiter der Telekom nicht umgewöhnen. Wie auch der überraschend zurückgetretene bisherige Chef Ron Sommer, der in Wien aufgewachsen ist, hat Helmut Sihler trotz seiner langen Zeit in Deutsch- land den österreichischen Akzent behalten. Den typischen Österreicher hat der gebürtige Klagenfurter einmal so definiert: "Der gibt sich bescheiden und will doch als Genie erkannt werden - so wie Mozart." Sihler gilt zwar nicht als Genie, aber als "graue Eminenz" in der deutschen Wirtschaft. An seinen Managerqualitäten zweifelt niemand, wenngleich der ältere, hagere Mann mit der markanten Hornbrille an der Spitze der Telekom nur eine Verlegenheits- und Interimslösung ist. Auch Sihler sieht sich als Chef auf Abruf. Eigentlich wollte der Kärntner wie sein Vater Lehrer werden. Er studierte Englisch und Latein, promovierte. Dann wandte er sich dem Jusstudium zu und schloss auch dieses mit dem Doktorat ab. Um sein Studium finanzieren zu können, arbeitete Sihler bei den amerikanischen Besatzungstruppen und absolvierte einen Teil seiner Studien im US-amerikanischen Vermont, die übrige Studienzeit verbrachte er in Graz. "Macher" Als 27-Jähriger ging er zum Waschmittel- und Chemiekonzern Henkel. Als erster familienfremder Manager übernahm Sihler 1980 die Konzernführung und machte sich als "Macher" einen Namen: Mit kräftigen Kostensenkungen, aggressivem Marketing und milliardenschweren Akquisitionen trieb er den Konzern zu Rekordumsätzen. Als Sihler vor zehn Jahren die konzerninterne Altersgrenze erreichte, gab er seine Position an Hans-Dietrich Winkhaus ab, der ihm später an die Spitze des Telekom-Aufsichtsrates nachfolgte. Aber in den Ruhestand zog sich der verheiratete Vater von vier Töchtern, der auch Honorarprofessor für Marketing und Unternehmensführung an der Universität Münster ist, nicht wirklich zurück: Er übernahm den Vorsitz im Aufsichtsrat von Porsche und Deutscher Post. In gleicher Funktion bei der Deutschen Telekom stärkte er Sommer 1996 den Rücken, als dieser nach Gebührenerhöhungen unter Druck geriet. Diesmal konnte er ihn nicht mehr halten und folgt ihm sogar nach. Wann Sihler wieder Zeit hat, sich intensiv mit seinem Hobby, der Kosmologie, zu beschäftigen, wie er es eigentlich für sein Rentnerdasein vorhatte, steht in den Sternen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe 18.7.2002)