Deutschland
"Nur Idioten ändern sich nicht"
Otto Schily wird 70 - Vorerst kein Ende der politischen Laufbahn des Innenministers
Berlin - "2002 werde ich 70, nein, nein, das ist
genug", hatte Otto Schily noch im März 2000 beteuert. "Ich habe dann
meinen Dienst für das Vaterland getan." Inzwischen ist klar: Schily
feiert am Samstag zwar seinen 70. Geburtstag, von einem Ende seiner
politischen Karriere ist aber längst keine Rede mehr. Bundeskanzler
Gerhard Schröder hat ihn überredet, noch einmal in den Wahlkampf zu
ziehen und sich für eine weitere Amtszeit zu rüsten. "Ich fühle mich
in der Pflicht", sagt Schily. Als Spitzenkandidat zieht er für die
bayerische SPD in den Bundestagswahlkampf, und im Falle eines
Wahlsieges steht fest, dass Schily erneut Minister wird. Damit geht eine der wechselhaftesten politischen Laufbahnen der
Nachkriegszeit möglicherweise doch noch in die Verlängerung: Vor 30
Jahren trat Schily als Anwalt von RAF-Terroristen erstmals ins
Rampenlicht, vor 20 Jahren war er maßgeblich am Aufstieg der Grünen
beteiligt, Ende der achtziger Jahre wechselte er das Parteibuch und
wurde schließlich zum ersten SPD-Innenminister der Bundesrepublik.
Starverteidiger
Schily entstammt dem gehobenen westfälischen Bürgertum. Sein Vater
war ein Bochumer Fabriksdirektor, seine Mutter Musikerin. Nach dem
Jusstudium ließ Schily sich 1963 als Anwalt in West-Berlin nieder und
avancierte in den folgenden Jahren zum Starverteidiger der Linken.
Ein Schlüsselerlebnis war ein Weihnachtsgottesdienst in einer
Berliner Kirche 1967, bei dem Studentenführer Rudi Dutschke eine
flammende Rede gegen den Vietnamkrieg hielt und gewaltsam von der
Kanzel gezerrt wurde.
In seinem ersten politischen Prozess vertrat Schily die Eltern des
Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 bei einer Demontsration
gegen den Schah von Persien in Berlin von einem Polizisten erschossen
wurde. Später verteidigte er RAF-Terroristen wie Holger Meins, Horst
Mahler sowie Gudrun Enslin. Schily bezeichnete sich in diesen Jahren
selbst als "liberalen Kommunisten". In der linken Szene blieb er
dennoch immer ein Außenseiter: Statt Jeans und T-Shirt trug er Anzug
und Krawatte, einer Wohngemeinschaft zog er ein gediegenes Heim im
noblen Stadtteil Grunewald vor.
1980 trat Schily den Grünen bei und zog drei Jahre später in den
Bundestag ein. Im Gegensatz zu den "Fundamentalisten" sah der "Realo"
Schily den politischen Erfolg immer untrennbar verbunden mit dem
Willen zur Teilhabe an der Macht. Bereits 1987 empfahl er, ein
Regierungsbündnis mit der SPD anzusteuern. Zwei Jahre später zog er
die Konsequenzen aus der zunehmenden Entfremdung mit seiner Partei
und wechselte im November 1989 zu den Sozialdemokraten. Hier wurde
er 1994 in den Fraktionsvorstand gewählt.
Im Alter von 66 Jahren wurde Schily 1998 als Innenminister
vereidigt. Neben Außenminister Joschka Fischer und Finanzminister
Hans Eichel wurde er zur dritten tragenden Säule im Kabinett
Schröder. Schon vor der Verabschiedung der Anti-Terror-Gesetze nach
dem 11. September wurde Schily als "roter Sheriff", "Eiserner Otto"
oder "Otto der Starke" bezeichnet. Mit seinem harten Kurs machte
Schily die Regierung beim Thema innere Sicherheit auf der rechten
Flanke unangreifbar.
Schily überhole selbst die CSU am rechten Rand, hieß es schon bald
nach seinem Amtsantritt. Zudem wurde ihm vorgeworfen, unwirsch und
tyrannisch mit Kollegen und Untergebenen umzuspringen. Schily nahm
die Kritik gelassen: "Ich bin ein Mensch, der seinen Kopf nicht an
der Garderobe abgibt", sagt er. Zu Loyalität fühlt er sich nur dem
Kanzler verpflichtet, zu seinem Motto machte er: "Zuerst das Land,
dann die Partei".
Damit erwarb er sich - manchmal Zähne knirschenden - Respekt bei
Freund und Feind. Auf Fragen nach den zahlreichen Wendungen in seiner
Karriere pflegt Schily mit einem Satz des früheren französischen
Präsidenten Georges Pompidou zu antworten: "Nur Idioten ändern sich
nicht." (APA/AP)