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Flüchtlingsrouten aus Nordafrika

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Dauerproblem illegale Flüchtlinge: Spaniens Küstenwache greift vor den Kanaren Immigranten aus Nordafrika auf.

Foto: APA/EPA/ Medina
Madrid/Rabat/Wien - Die Alte Welt ist ein attraktives Ziel für Nordafrikas Jugendliche, die mit 15 schon keine Zukunft mehr im eigenen Land sehen. Mehr als 100.000 Marokkaner wagen jedes Jahr in wackligen "pateras", den für die starken Meeresströmungen ungeeigneten Fischerbooten, die Überfahrt durch die Straße von Gibraltar nach Europa. Ein Großteil der Flüchtlinge stamme in Wirklichkeit aus Schwarzafrika und benütze Marokko nur als Durchgangsland, versichert Rabat. 80 Prozent der Illegalen sind Marokkaner, rechnet die spanische Küstenwache vor. Wer immer auch Recht hat: Nordafrika mit seinen fünf Staaten Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Mauretanien - der Maghreb - ist so etwas wie die offene Flanke der Europäischen Union geworden, an deren Abschottung die Regierungschefs spätestens seit dem EU-Gipfel von Sevilla vergangenen Juni arbeiten. Der Streit um die Petersil-Insel zwischen Marokko und Spanien ist dabei nur ein Zeichen für das angespannte Verhältnis zwischen der EU und ihren muslimischen Nachbarn im Süden. Der Krieg der Islamisten in Algerien mit seinen Verzweigungen in die muslimische Gemeinschaft in Frankreich und Deutschland, die Menschenrechtslage im Tourismusland Tunesien, Drogenhandel und illegale Immigration aus Marokko stehen auf der Problemliste. Dabei war Spanien zum Auftakt seiner EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte noch bemüht, "Brücken" zu den islamischen Staaten des Maghreb zu schlagen. Premier José María Aznar versicherte sich Ende September - noch unter dem Eindruck der Attentate vom 11. September - bei einem Besuch in Tunesien der Unterstützung für die internationale Koalition gegen den Terrorismus. Der inzwischen abgelöste Außenminister Piqué besuchte noch im Oktober Marokko und Algerien. Trotz eines lange schwelenden bilateralen Konflikts um die Verfolgung der illegalen Schlepperbanden, die die Ausreisewilligen über die Meerenge von Gibraltar bis zur Südküste Spaniens oder den Kanareninseln schmuggeln, versuchte Spanien im Namen der EU die diplomatische Annäherung. Rabats Druckmittel Das Argument der spanischen Regierung: Marokko würde die Bekämpfung der illegalen Emigration als Druckmittel verwenden, um von Madrid Konzessionen in der Frage eines großzügigen Fischereiabkommens mit der EU oder bei der für Ende Juli angesetzten Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat über die Zukunft der Westsahara zu erzwingen. Wie ein Barometer, das den Zustand der Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn anzeigt, steigt oder sinkt die Zahl der illegalen Einwanderer. Selbst der mit hohen Investitionen - auch EU-Mitteln - betriebene Ausbau der Überwachungsposten entlang der spanischen Südküste konnte die Immigrationswelle nicht stoppen. Dass Marokkos Außenminister Benaïssa die Invasion der Petersil-Insel mit dem Argument rechtfertigte, von dort aus sei den Menschen- und Drogenschmugglern besser beizukommen, wurde in Madrid als schlechter Scherz gewertet. Die diplomatischen Anstrengungen sind mit der Besetzung und anschließenden "Rückeroberung" des Eilands durch spanische Soldaten endgültig gescheitert. Es werde Jahre dauern, so ein Maghreb-Experte, bis der Schaden wieder repariert, das wechselseitige Misstrauen der Diplomaten in Rabat und Madrid abgebaut werden könne. (mab, man/DER STANDARD, Printausgabe, 19.07.2002)