Nach dem Gezerre um die Ablöse von Telekom-Chef Ron Sommer war der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in dieser Woche mit einem zweiten Personalpro-blem konfrontiert: Die rasche Reaktion des SPD-Regierungschefs auf Presseberichte über dubiose Finanzgeschäfte von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zeigt, wie nervös Schröder ist.Er hat 66 Tage vor dem Urnengang das kleinere von zwei Übeln gewählt: Um der Opposition nicht die Möglichkeit eines Dauerbrenners im bisher themenarmen Wahlkampf zu geben, hat er Scharping zum Rückzug gedrängt. Der Regierungschef wollte auch rasches Handeln demonstrieren und damit zeigen, dass er aus den Fehlern bei der Telekom gelernt hat. Denn offen eine Ablöse zu propagieren, um sich erst dann auf die Suche nach einem Nachfolger zu machen - und nach einer Reihe von Absagen einen 72-jährigen Rentner als Chef des Telekom-Konzerns zu installieren -, war schlicht stümperhaft. Diesmal hat Schröder mit der Ablöse Scharpings auch gleichzeitig dessen Nachfolger Peter Struck angekündigt. Generell hat Schröder bei der Auswahl seines Regierungspersonals nicht sehr viel Geschick bewiesen. Inklusive Scharping sind acht Minister seit 1998 ausgetauscht worden. Auffällig ist, dass mehrere SPD-Kabinettsmitglieder über Affären, die in Zusammenhang mit Geld standen, gestolpert sind: Verkehrsminister Reinhard Klimmt über dubiose Zahlungen in Zusammenhang mit Fußball, Kanzleramtsminister Bodo Hombach über den luxuriösen Ausbau seines Hauses, und nun Scharping. Der Verteidigungsminister war nach einer Reihe von politischen Fehlern - wie jenem, als er die Aufmarschpläne der Soldaten in den Kosovo ausplauderte - zum Risiko geworden. Mit öffentlich zur Schau getragenen Liebeleien gab er sich der Lächerlichkeit preis. Scharping war zwar der "Buhmann" in Schröders Kabinett, aber längst nicht die einzige Schwachstelle: Arbeitsminister Walter Riester und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gelten als überfordert, Finanzminister Hans Eichel ist seit dem gerade noch abgewendeten "blauen Brief" aus Brüssel wegen des gestiegenen Budgetdefizits seinen Ruf als Sparmeister los. Außer sich selbst hat Schröder personell im Wahlkampf nicht sehr viel vorzuweisen, was auch die auf ihn zentrierte Kampagne erklärt. Dies zeigt sich auch daran, dass die von Herausforderer Edmund Stoiber präsentierten "Schattenminister" - bis auf Familienpolitikerin Katherina Reiche ausnahmslos lang gediente Politprofis - wie Lichtgestalten erscheinen. Einer von Schröders Fehlern war es, dass er nicht in der Mitte der Legislaturperiode eine Kabinettsumbildung vorgenommen hat, wie dies überraschend Spaniens Premierminister José María Aznar vergangene Woche getan hat. Jetzt ruht alles auf Schröders Schultern, zumal die Wahlkampfkonzepte von 1998 nicht mehr greifen. Oskar Lafontaine, der die Partei mitriss, ist nicht mehr an seiner Seite. Schröder muss sich einerseits bei den Gewerkschaften, andererseits bei den Unternehmern andienen. Der Regierungschef muss auch erkennen, dass Stoiber sehr viel geschickter agiert, als dies der über die Jahre behäbig gewordene Helmut Kohl getan hat. Dass sich Schröder von seinem Herausforderer mit der Aufforderung zum Handeln in der Bild-Zeitung so provozieren ließ, dass er sich zum aktionistischen Eingreifen bei der Telekom bemüßigt sah, erinnert an die handwerklichen Fehler im ersten Regierungsjahr. Souverän wirkt Schröder neun Wochen vor der Wahl nicht mehr, sondern vielmehr in der Defensive. Die CDU/ CSU liegt in den Umfragen nach wie vor fünf, sechs Prozentpunkte vor der SPD. Es dürfte Schröder auch nicht zur Genugtuung gereichen, dass er als Einziger von Willy Brandts "Enkeln" an der Macht geblieben ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Position auch ihm nur noch 65 Tage erhalten bleibt, ist seit Donnerstag gestiegen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.7.2002)