New York - Mit einer musikalischen Liebeserklärung an
die New Yorker Philharmoniker hat sich Kurt Masur nach elf Jahren an
der Spitze des ältesten und renommiertesten Orchesters der USA von
der amerikanischen Kulturmetropole verabschiedet. Das Konzert in der
Avery Fisher Hall, das zugleich dem 75. Geburtstag des deutschen
Dirigenten gewidmet war, wurde in der Nacht zum Freitag von
Beifallsstürmen begleitet. "Ich werde die Zeit hier niemals
vergessen", sagte der sichtlich gerührte Masur. Er übernimmt
demnächst die Leitung des Orchestre Nationale de France in Paris.
"Happy Birthday, Dear Kurt"
Gemeinsam mit den Philharmonikern sang das Publikum für den
Stardirigenten "Happy Birthday, Dear Kurt". Der Maestro dirigierte
zum ersten Mal und entgegen erklärten Grundsätzen keine vollständigen
Kompositionen, sondern einen bunten Reigen von einzelnen Stücken aus
Sinfonien und Opern. Er wolle damit an einem einzigen Abend noch
einmal die ganze Meisterschaft der "zauberhaften Musiker" als
Solisten wie als gesamtes Orchester demonstrieren. "Das
Scheinwerferlicht soll heute Nacht auf die Instrumentalisten fallen,
die Woche für Woche, Jahr für Jahr als Mitglieder der New Yorker
Philharmoniker spielen."
Dass er auch nach elf Jahren als Musikdirektor immer noch für
Überraschungen gut ist, bewies Masur nicht nur mit einer
außerordentlich feurigen Interpretation von "Mambo" aus Bernsteins
"West Side Story". Erst in den letzten Tagen sei ihm aufgegangen,
sagte Masur mit einem Augenzwinkern, dass der Blues schon vor weit
mehr als 300 Jahren von Johann Sebastian Bach erfunden worden sei.
Große Gesten
Der Abend begann und endete mit großen Gesten. Das erste Stück,
Leonard Bernsteins "Candide"-Ouvertüre, spielte das Orchester allein.
Die Musiker hatten es kurz nach dem Tod Bernsteins im Oktober 1990
bei einem Gedächtniskonzert ebenfalls ohne Dirigenten aufgeführt.
Masur, der nach Bernstein als erst zweiter Musikdirektor zum
Ehrendirigenten der New Yorker Philharmoniker ernannt wurde,
verneigte sich damit vor seinem berühmten Vorgänger.
Als die Philharmoniker zum Schluss, bei der dritten Zugabe, Bach
spielten, verließ Masur das Dirigentenpult und die Bühne, um zu
zeigen, wie sehr er dem Orchester vertraut. Das Programm, das neben
anderen auch Weber, Brahms und Puccini umfasste und mit Ravels Bolero
einen umjubelten Höhepunkt erreichte, war auch mehrfach eine
Verneigung vor der Stadt Leipzig. So wurde an Johann Sebastian Bach
als Thomas-Kantor und an Felix Mendelssohn als den berühmtesten der
Vorgänger Masurs unter den Kapellmeistern des Leipziger Gewandhauses
erinnert.
"Wir alle spüren das: Ihr liebt uns, und wir lieben euch"
Trotz Abschiedsstimmung riss Masur die New Yorker mit Witz und
Komplimenten zu tosendem Beifall hin. Nach dem Dank für das
Geburtstagsständchen "für einen alten Burschen von 75 Jahren" sagte
er: "Wir alle spüren das: Ihr liebt uns, und wir lieben euch".
Allerdings ließ er mit eher ungewöhnlichen Einblicken in sein
Privatleben keinen Zweifel daran, dass die größte Liebe seines Lebens
seine Frau Tomoko ist. Der Japanerin, die von der Ehrenloge aus
zusah, widmete Masur gleich zwei Stücke seines Abschiedsprogramms.
Der Abschied von New York, den Masur mit dem Wunsch nach einem
baldigen Wiedersehen verband, war noch nicht sein letzter Auftritt
als Musikdirektor der Philharmoniker. Der steht am Sonntag bei einem
Freiluftkonzert vor Tausenden Zuschauern in dem prächtigen
Konzertpark von Tanglewood (US-Bundesstaat Massachusetts) bevor.
(APA/dpa)