Inland
Staatsanwälte und Richter gegen "übertriebenen" Rechtsschutz
'Verlust an Rechtsstaatlichkeit durch Vorverfahrensreform'
Wien - Staatsanwälte und Richter lehnen die
Regierungsvorlage für die Vorverfahrensreform nach wie vor ab: Sie
brächte "einen Verlust an Rechtsstaatlichkeit und nicht, wie
Böhmdorfer immer meint, einen Zugewinn", hält die Präsidentin der
Richtervereinigung, Barbara Helige, dem Justizminister entgegen.
Staatsanwälte-Präsidentin Brigitte Bierlein kritisiert, dass der
Rechtsschutz "extrem übertrieben" werde. Dies werde Verfahren sehr
viel länger und teurer machen, was "nicht zur Senkung der
Kriminalitätsrate beiträgt". Bierlein und Helige bekräftigten die Forderung,
das Weisungsrecht vom Justizminister an ein unabhängiges Organ zu
übertragen. Österreich liege hier europaweit im Schlussbereich. Wenn
man die Weisung des Ministers belasse, "dann muss auch der Richter
zumindest in heiklen Fällen und bei Ermittlungen gegen die Polizei
Ermittlungsorgan bleiben", so Bierlein.
Machterweiterung
"Das Weisungsrecht wurde immer schon abgelehnt. Jetzt auch noch
die Möglichkeiten der Verwaltung auszudehnen - wie im Entwurf
vorgesehen - halten wir für sträflich", sagte Helige. Mit der Reform
werde "die unabhängige Gerichtsbarkeit zurückgedrängt und die Macht
der Sicherheitsbehörden, aber auch des Justizministers ausgedehnt".
Die Staatsanwälte seien natürlich - wie die Richter auch - für die
Verrechtlichung der Polizei und den Ausbau der Opfer- und
Beschuldigtenrechte. "Aber dafür muss man nicht das ganze
Vorverfahren auf den Kopf stellen", meint Bierlein zur geplanten neue
Rollenverteilung der Leitung des Ermittlungsverfahrens durch die StA,
der praktischen Ermittlung durch die Polizei und der Zurückdrängung
des Richters auf Rechtsschutzaufgaben.
Bürokratismus
Es sei "auch eine Rechtsstaatsfrage, ob Kriminalität noch
handelbar bleibt". Bierlein: "Mehr Rechtsschutz ist gut und schön,
aber mit Augenmaß. Wenn man es übertreibt, werden die
Verfolgungsorgane nicht mehr Straftaten effizient aufklären und damit
bekämpfen können, sondern nur mehr Verbrechen verwalten." Straftäter,
die sich "gewiefte" Anwälte leisten können, "werden eher
durchschlüpfen können und keine Sanktionen erfahren", kritisiert
Bierlein einen "überschießenden Rechtsschutz" im Entwurf: "Jeder
Betroffene kann gegen alles und jedes einen Rechtszug bis zum
Oberlandesgericht machen. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht, dass
von jedem dem Staatsanwalt angeschafft werden kann, welche Zeugen er
vernimmt oder welche Fragen er stellt."
Es stelle sich die Frage, wie sich ein wesentlich teureres - die
Staatsanwälte halten eine Verdoppelung ihres Personalstandes auf rund
400 für nötig - und wesentlich längeres Verfahren mit den von der
Regierung immer wieder genannten Zielen der Effizienzsteigerung,
Verwaltungsverschlankung oder Beschleunigung vertrage. "Der
Bürokratismus steigt mit dieser Reform in unnotwendigem Ausmaß."
Böhmdorfer nur in Randbereichen verhandlungsbereit
Die Kritiker haben jedoch wenig Aussicht auf Erfolg. Justizminister Dieter Böhmdorfer ist "nur in
Randbereichen" verhandlungsbereit. Der Kern, die
"Verrechtsstaatlichung" des Vorverfahrens im Strafprozess werde
bleiben und "auch das Weisungsrecht gehört nicht zum
Verhandlungsspielraum", betonte Böhmdorfer.
(APA)