Jetzt wird es also ernst mit dem "Haus der Geschichte" in Wien. Dazu gibt es eine gute Nachricht: Das todlangweilige Konzept einer Geschichte der Zweiten Republik ab 1955 scheint gestorben, es wird nun doch die ganze spannende Republikgeschichte ab 1918 gezeigt.Die schlechte Nachricht: Peter Westenthaler ist ein vehementer Befürworter des Projekts, und die FPÖ wird dabei allem Anschein nach ein gewichtiges Wort mitreden. Kann mühsam werden, ist aber nicht illegitim. Wenn das Haus wirklich eines der ganzen neueren österreichischen Geschichte mit allen ihren Höhen und Tiefen werden soll, dann müssen sich auch alle Österreicher von links bis rechts darin wiederfinden können. Dass der Standort nun doch nicht das Palais Epstein sein wird, ist kein wirkliches Unglück, obwohl der Projekterfinder Leon Zelman verständlicherweise enttäuscht ist. Aber beim Streit um das Ringstraßenpalais ging es vor allem darum, dass dieses wichtige Architekturdenkmal der Gründerzeit nicht ruiniert wird, wie es seinerzeit mit dem Palais Todesco auf der Kärntnerstraße geschehen ist. Der vom Parlament in Auftrag gegebene Umbauplan für das Epstein will das vermeiden, die historischen Repräsentationsräume sollen erhalten bleiben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das sollte reichen. Jetzt kommt es darauf an, dass der Inhalt stimmt. Man kann davon ausgehen, dass in Zukunft praktisch alle Schulkinder durchs "Haus der Geschichte" geführt werden. Wie künftige Generationen das zwanzigste Jahrhundert beurteilen, welche Botschaft sie daraus mitnehmen, wird wesentlich davon abhängen, was sie in jenem Haus zu sehen bekommen werden. Wenn am Ende ein Geschichtsbild à la Ewald Stadler herauskommt (gottlob unwahrscheinlich), wäre das eine mittlere Katastrophe. Derzeit ist eine eher regierungslastige Vorbereitungs-gruppe (Wilhelm Brauneder, Gerhard Karner, Man-fried Rauchensteiner, Kurt Scholz) an der Arbeit, mit Scholz, Wiens ehemaligem Stadtschulratspräsidenten, als einzigem SP-nahen Mitglied. Nach Österreichs Usancen ist es unvermeidlich, dass dieses Haus früher oder später zum Politikum wird und jede Seite für "ihre" Themen kämpft: wie viel Platz für Raab, wie viel für Kreisky? Wie gut oder schlecht kommt Dollfuß weg, wie die Februarkämpfer von '34, was ist mit den Deutschnationalen, was mit den Sudetendeutschen? Ganz ohne Parteipolitik geht es wohl nicht, aber es ist höchste Zeit, dass die universitären Historiker sich einschalten. Bei der bisherigen Vorbereitung wurden sie nicht gefragt, obwohl im Parlamentsbeschluss ursprünglich von einem bundesweiten Ideenwettbewerb die Rede war. Für ein österreichisches Haus der Geschichte sollten die besten und unabhängigsten Köpfe gerade gut genug sein. Wie nötig das ganze Projekt ist, zeigen unter anderem zwei Interviews, die Kanzler Schüssel dieser Tage gab (im Falter und im Kurier) und bei denen er à propos Benes-Dekrete sagte, man verlange von den Tschechen ja nicht, "dass sie ein Drittel des Landes zurückgeben". Zurückgeben? Jenes Landesdrittel, den "Sudetengau", verleibte sich nach dem Münchner Abkommen 1939 Nazideutschland kurzfristig ein, vorher war es fast tausend Jahre lang Teil des historischen Königreichs Böhmen. Ein Lapsus Linguae, der verdeutlicht, wie sehr wir alle durch oft seltsame frühere Geschichtsauffassungen geprägt sind. Lernen Sie Geschichte - das gilt für die meisten Österreicher, den Bundeskanzler nicht ausgenommen. Wir brauchen ein Haus der Geschichte. Wir müssen nur aufpassen, dass die Idee nicht schon im Voraus instrumentalisiert wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 7. 2002)