STANDARD: Laut Umfragen sind die Österreicher sehr skeptisch, was die Liberalisierung speziell von öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung, Wasser- und Gesundheitsversorgung angeht. Auch Globalisierungskritiker lehnen solche Schritte ab. Sind das alles Spinner oder gibt es berechtigte Sorgen bezüglich zu weit reichender Marktöffnungen innerhalb der WTO? Bartenstein: Österreich muss mit einem Weltmarktanteil von 2,1 Prozent und als dreizehntstärkster Dienstleistungsexporteur großes Interesse an weiteren Liberalisierungsschritten haben. Dabei stehen die öffentlichen Dienstleistungen aber absolut nicht im Mittelpunkt. STANDARD: Österreich Dienstleistungsstärke ist doch vor allem der Tourismus. Bartenstein: Nein, nicht nur. Die industrienahen Dienstleistungen haben bereits dasselbe Gewicht wie der Tourismus. Dort haben österreichische Firmen auch offensives Interesse an Marktöffnungsschritten. Defensives Interesse haben wir dagegen bei öffentlichen Dienstleistungen oder bei den freien Berufen. Da werden wir keine oder nur wenige Angebote zur Liberalisierung legen. STANDARD: Sie haben mehrfach betont, dass Österreich seine Wasserversorgung als Ausnahme vom WTO-Dienstleistungsabkommen GATS definieren wird. Warum verlangt dann die EU, ohne dass Österreich etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte, die Liberalisierung der Wasserversorgung etwa von Kanada, Indien oder der Schweiz? Bartenstein: Sie sprechen die EU-Forderungen an insgesamt 109 WTO-Mitgliedsländer an. Die Liste ist eine Zusammenstellung der Wünsche aller EU-Länder. Wir können Frankreich nicht verbieten, diese Forderung an andere Länder zu richten. Es kann Österreich aber niemand zu irgendeiner Liberalisierung zwingen. Auch die Wasserversorgung verbleibt völlig in unserer Autonomie. STANDARD: Abgesehen von der Wasserversorgung: Was geschieht mit den Bereichen Bildung oder Gesundheitsversorgung? Kritiker sagen: Zuerst wird liberalisiert, dann privatisiert, und dann haben wir die Zweiklassenmedizin. Bartenstein: Wir haben in Österreich die 100-prozentige Strommarkt-Liberalisierung, aber kein Wort darüber verloren, wer der Eigentümer ist. Im Bereich der Grundversorgung wird die öffentliche Hand weiter Mehrheitseigentümerin bleiben. Das Gebot der Stunde ist ein vernünftiges Nebeneinander von privaten und staatlichen Anbietern. STANDARD: Negativbeispiele wie das britische Eisenbahnwesen oder die kalifornische Stromkrise schrecken Sie nicht? Bartenstein: Durch eine entsprechende Marktaufsicht kann man funktionierende Märkte zum Vorteil der Konsumenten schaffen. In Großbritannien wurde verabsäumt, die privaten Bahnbetreiber zu den nötigen Investitionen anzuhalten. Der kalifornische Strommarkt wurde einseitig und zu wenig weit reichend liberalisiert. Wenn öffentliche Dienstleistungen zum Wohl der Konsumenten funktionieren, sinkt in Wirklichkeit der Privatisierungsdruck. STANDARD: Zurück zum großen Gefeilsche: Was werden die EU und Österreich im Gegenzug zu ihren Liberalisierungswünschen den anderen WTO-Mitgliedern anbieten? Bartenstein: Die Angebotsphase geht bis März 2003, es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Es ist aber abzusehen, dass die Forderungs- und Angebotslisten stark divergieren werden. STANDARD: Es wird also überall dort eine Marktöffnung verlangt, wo man selber stark ist, und die Barrieren bleiben oben, wo die internationale Konkurrenz stärker ist. Bartenstein: Ich wiederhole: Österreich muss als kleine, offene Volkswirtschaft ein Interesse an weiteren Liberalisierungsschritten haben. Es sind bei uns immer die gleichen Verdächtigen im guten Sinn des Wortes: BWT im Abwasserbereich, die VA Tech oder Verbundplan in der Wasserkraft, der Weichenhersteller VAE oder die Voestalpine im Eisenbahnbereich oder Firmen wie die Vamed im Gesundheitsbereich. STANDARD: Die neue Welthandelsrunde soll eine Entwicklungsrunde sein. Bisher haben die Entwicklungsländer nicht wirklich vom WTO-Prozess profitiert. Bartenstein : In den letzten zehn Jahren haben die Länder Schwarzafrikas kaum, Asien aber sehr wohl von der Öffnung der Märkte profitiert. Die Entwicklungsländer versprechen sich große Chancen bei arbeitsintensiven Dienstleistungen. Angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der anstehenden EU-Erweiterung sehe ich hier aber wenig Spielraum für Zugeständnisse. STANDARD: Eine Frage zum neuesten WTO-Mitglied: Warum fordert die EU von China die Aufgabe von Kapitalverkehrskontrollen, die das Land vor der Asienkrise bewahrten? Bartenstein: China wurde von der Spekulationsblase auf den Aktienmärkten verschont, weil es diese Strukturen in China noch gar nicht gab. Unterm Strich erwartet sich klarerweise auch China mehr Vorteile aus dem WTO-Beitritt als Nachteile. STANDARD: Können Arbeitsschutznormen und Umweltschutzgesetze künftig in der WTO als Handelshemmnisse eingeklagt werden? Bartenstein: Ich schmunzle. Es ist im EU-Interesse, diese Standards durchzusetzen, und wir stoßen auf vehementen Widerstand der Entwicklungsländer, die hier versteckten Protektionismus vermuten.(DER STANDARD, Printausgabe 23.7.2002)