Im Jahre 603 forderte Augustinus, der erste Erzbischof von Canterbury, Gehorsam von der walisischen Kirche. Aber die walisischen Geistlichen bockten, denn sie sahen in Augustinus bloß einen Parvenu und ein Werkzeug des sächsischen Königs von Kent mit Namen Aethelbert.

Und jetzt ist der Erzbischof von Wales, Rowan Williams, auf den Stuhl des Augustinus befördert worden - der erste Waliser seit Menschengedenken, vielleicht sogar überhaupt. Der 52-jährige Williams, der außer Walisisch auch noch sechs andere Sprachen beherrscht, wird nach dem altersbedingten Rücktritt seines Vorgängers, George Carey, ab November die Geschicke der weltweit 70 Millionen Anglikaner leiten.

Erstmalig sieht ein britischer Kirchenfürst nicht wie der Chefbuchhalter aus. Mit seinem strubbeligen Bart erinnert er vielmehr an einen weisen Eremiten, und in der Tat genießt Williams den Ruf eines erstklassigen Theologen, was nicht selbstverständlich ist in der Führungsriege des anglikanischen Klerus. Der neue Mann war immer einer der Ersten: Mit 36 war er der jüngste Oxford-Professor seiner Zeit.

Im Verlaufe seiner ersten Pressekonferenz gab sich der Prälat am Dienstag demütig: Er wolle die Kirche einigen. Williams ließ durchblicken, dass er als Oberhaupt der Anglikaner eine andere, sanftere Aufgabe habe als bisher. Denn eigentlich liebt der Mann Meinungsverschiedenheiten und hat Zivilcourage. Er bezweifelt zum Beispiel, dass die Königin weiterhin Oberhaupt seiner Kirche bleiben soll. Diesmal bestätigte die Queen die Wahl des neuen Erzbischofs, den der britische Premierminister aus einer Zweierliste ausgewählt hatte.

Williams, der wie seine schulpflichtigen Kinder und seine Frau Jane die Comicserie "Simpsons" mag, gilt als theologisch orthodox, aber politisch linksliberal. Er hat keine Probleme mit schwulen Priestern, mit der kirchlichen Ehe von Geschiedenen - mit dem familienrechtlich-sexuellen Schnickschnack also, die die Kirchenführer so oft faszinieren. Dafür kann er sich durchaus auch eine Frau als anglikanische Bischöfin vorstellen. Unter seinem spröden Vorgänger Carey hatte die Kirche zwar endlich Priesterinnen geduldet, deren Beförderung aber ausdrücklich abgelehnt.

Der 104. Erzbischof von Canterbury interessiert sich für andere Dinge. Williams kritisierte die amerikanisch-britischen Methoden im Afghanistan-Krieg scharf und bezeichnete einen möglichen Einmarsch im Irak als "illegal und unmoralisch". Klare Worte, die auf eine mögliche Kollision mit der Blair-Regierung hindeuten. Doch zuerst muss er die englische Staatskirche wieder als gesellschaftliche Kraft relevant machen. Erst dann darf er hoffen, der Nation ins Gewissen zu reden. (Martin Alioth/DER STANDARD, Printausgabe, 24.7.2002)