Wien - Apportieren macht Spaß. Hunden. Höher entwickelte Lebensformen stellen sich spätestens beim dritten Stöckchenholen die Sinnfrage. Und weil Michael Kuhn gelernter Apotheker (und nicht Hund) ist, wirkt der Initiator des Wiener Gratisradsystems Viennabike nur noch müde und frustriert.Nicht weiter verwunderlich - apportiert Kuhn doch seit geraumer Zeit. Im großen Stil: Zwei Lkws und 17 Mitarbeiter sind 24 Stunden täglich damit beschäftigt, Fahrräder zurückzuholen - woraufhin sie wieder verschleppt werden. Und, seufzt der Freiradvertreiber, Radverschlepper und -zerstörer "arbeiten" schneller als die Apportiertrupps. "Ich könnte die Flinte ins Korn werfen - aber solange ich einen Funken Hoffnung habe, machen wir weiter." Hoffnung auf Sparflamme Allerdings glimmt die Hoffnung gerade noch auf Sparflamme. Denn seit vor knapp zehn Tagen der zweite Versuch, 1200 Gratisräder in den Verkehr zu bringen, gestartet wurde, hat sich nichts verändert: Trotz einer 25-köpfigen "Info-Identitäts-Patrouille" wechseln täglich 200 Räder in unerlaubte Reviere - oder werden zerstört. Planquadrate sollen jetzt eine Trendumkehr herbeiführen - allerdings betont Kuhn, dass seine Patrouillen nach dem Motto "Anhalten ja - Festhalten nein" agieren: "Kein Rad ist Handgreiflichkeiten wert." Davonfahren, so Kuhn, riefe ohnedies die Polizei auf den Plan - dass Polizisten nicht von sich aus Viennabike-Entführer anhalten wollen, sei "bedauerlich". Radpolitikum Am Dienstag bedauerte auch Bürgermeister Michael Häupl die Schwierigkeiten der "Anfangsphase" (Häupl). Die Idee sei schließlich "wunderbar". Das Pfand von zwei Euro sei aber doch "sehr billig", eine Chipkarte schiene ihm sinnvoller. Kuhn mittlerweile auch. Aber: "Jede Veränderung der Zugangsmöglichkeit muss vom Gemeinderat abgesegnet werden, damit wir weiter Subventionsgelder bekommen können." Dies stimme, bestätigt man im Büro von Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SP). Von den zugesagten 1,2 Millionen Euro habe man bisher "rund 400.000 Euro" ausgezahlt. Das Projekt, wie es ÖVP und FPÖ fordern, jetzt abzubrechen, lehnt man ab: "Wir schauen uns das bis September an." Viennabike-Chef Michael Kuhn versucht einstweilen, dem Debakel eine heitere Seite abzugewinnen. "Als Soap-Opera wäre das wirklich lustig. Aber leider ist das alles Realität. Ein Spiegelbild der Wiener Seele." (Thomas Rottenberg, DER STANDARD Print-Ausgabe, 24.7.2002)