Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Archiv
In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich ein sehr intensiver, facettenreicher Diskurs über Gedächtnis, Erinnerung und deren Funktion für Identität und Zusammengehörigkeit entwickelt. Jedoch kann hier keine Disziplin ihr Monopol anmelden, wie A. Assmann schreibt, vielmehr gibt es kultur- und naturwissenschaftliche sowie informationstechnische Vorstellungen über verschiedene Gedächtnismodelle. Einen interdisziplinären Streifzug über aktuelle Konzepte unternimmt Johannes Zimmermann in seiner Seminararbeit. Erinnerung als Eigenbau Zimmermann spannt einen weiten Bogen ausgehend von einer subjektzentrierten Perspektive, die nach dem isolierten Individuum fragt, hin zu einer makrologischen, die dem kollektiven Gedächtnis auf der Spur ist. Die Psychologie betrachtete das Gedächtnis bisher aus einer subjektzentrierten Perspektive vor allem im Rahmen informationstechnischer Vorstellungen. Gedächtnis wurde als reines Speichermedium wahrgenommen und naturwissenschaftlich neural lokalisiert. In verschiedenen Hirnrealen können hier spezifische Gedächtnisprozesse, wie beispielsweise das semantisch-lexikalische Gedächtnis oder das episodisch-biographische Gedächtnis festgestellt werden. Im jüngsten Diskurs wird die Gedächtnistätigkeit aber auch als Konstruktionsarbeit und nicht als bloßer Speicherzugriff konzeptualisiert. Die Betrachtung der Rahmenbedingungen der Erinnerung, also dessen "soziale Vermitteltheit" bleibt aufgrund der Fokuslegung auf das Individuum meist aus. Erinnerung ist, was ins Konzept passt Im sozialkonstruktivistischen Ansatz wird die Sprache ins Zentrum der Analyse gestellt, die Erinnerung als "diskursive Leistung" verstanden. Insbesondere das sehr junge Forschungsfeld der "narrativen Psychologie" sieht Gedächtnisprozesse im Kontext der aktuellen Lebensgeschichte. Aspekte der Stimmigkeit gelten hier im Erinnern als Kondensierung und Rationalisierung hin zu einer kohärenten Gestalt. "Kulturelle Traditionen stellen bestimmte narrative Regeln und Figuren bereit, die der persönlichen Erinnerung als überindividuelle Rahmen dienen." Erinnerung vom Individuum zum Kollektiv Maurice Halbwachs hingegen, der schon in den 1920er Jahren eine Konzeption vorlegte, betont den Zusammenhang von Gruppenzugehörigkeit und Gedächtnis. Er geht in seinen Thesen sogar soweit zu sagen, dass sich das Individuum nur als Mitglied einer Gruppe erinnert. Neben der individuellen Gedächtnisleistung, kann nach Halbwachs auch die Gruppe selbst Basis eines "kollektiven" Gedächtnisses sein, das "auf sozialer Ebene Kontinuität und Identität der Gruppe" herstellt. Verlässt ein Individuum die Gruppe, ändert sich mit der gemeinsamen Basis der Bezugsrahmen und damit die Erinnerung. Eine unmittelbare Fortführung des Kollektivbegriffs vollzog der Historiker Pierre Nora in seinem Mammutwerk über die französischen Gedächtnisorte. Der Begriff verliert hier seine metaphysische Konnotation, indem Nora "die Gesellschaft mit ihren Medien und Institutionen, ihren Zeichen und Symbolen" als Träger des Gedächtnisses der Gruppe aufzeigt. Gedächtnis und Geschichte Nora geht in seinem Konzept der Gedächtnisorte davon aus, dass sich Nationalgedächtnis und Geschichtsschreibung im Laufe des 20.Jahrhunterts voneinander getrennt haben und eine "Welle der Historizität" Tradition und Brauchtum fortgespült hat. Der Historiker Jan Assmann plädiert hierdafür, ebendiesen Vergangenheitsbezug gegen emotionale Verklärung in der Wissenschaft als "kalte Erinnerung" einzustufen. "Bilder und Geschichten einer anderen Zeit" Assmann sieht in seiner Gedächtnistheorie die "Erfindung der Schrift als Wendepunkt der kulturellen Evolution" als Übergang "von gelebter, kommunizierter Erinnerung zu institutionalisierter, kommemorierter Erinnerung". Dabei unterscheidet er zwei Arten des Gedächtnisses: das kommunikative, das "im Medium sozialer Interaktion den biographischen Erinnerungen der einzelnen Halt gibt" und das kulturelle, das den Alltagshorizont der Individuen übersteigt, indem es sich auf Fixpunkte, die als schicksalhaft und bedeutsam markiert werden stützt. Wobei hier "Bilder und Geschichten einer anderen Zeit", die "Hoffnung und Erinnerung" stiften, einfließen. Die "konnektive Struktur", die sich in den beiden Gedächtnisformen konstituiert, bilden die Grundlage für die/den EinzelneN, "wir" sagen zu können. Zimmermann gibt eine ausführliche Einführung in den Diskurs der vergangen Jahre und zeigt die Zusammenhänge und Stränge der unterschiedlichen Konzepte auf. Nachzulesen auf mnemopol.net