Wer zu seiner Angelobung unterirdisch marschieren musste und dann außenpolitisch monatelang als Paria behandelt wurde, für den haben die freundlichen Worte Ariel Sharons höchsten symbolischen Wert. Denn immerhin kommen sie - noch dazu rechtzeitig vor Nationalratswahlen - von der Führungsspitze jenes Landes, aus dem im Frühjahr 2000 die schärfste Kritik gegen einen "neonazistischen Charakter" einer der beiden Regierungsparteien nach Wien gedrungen war.
Die Hochdiplomatie am Ballhausplatz sollte aber trotzdem besser auf dem Teppich bleiben und schon gar nicht in billiges Triumphgeheul einstimmen. Die gut temperierte erste Reaktion von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ("sehr positiver Schritt") zeugte davon, dass ein diesbezüglich notwendiger Realismus vorhanden ist.
In der Substanz nämlich werden Sharons Erklärungen auf absehbare Zeit nicht allzu spektakuläre Konsequenzen zeitigen. Wirklich "gute Beziehungen", wie sie manche publizistischen Steigbügelhalter von Schwarz-Blau umgehend zwischen Wien und Jerusalem aufziehen sehen, sind sowieso eine Wunschvorstellung.
Davon kann selbst die Europäische Union seit langem nur träumen. Und deren allermeisten Mitgliedstaaten müssen sich eher selten mit irgendwelchen Rülpsern von namhaften Mitgliedern einer Regierungspartei zum Nationalsozialismus - wie in der Affäre Ewald Stadler, die ohne jede Konsequenz blieb - herumschlagen.
Ganz konkret dürfte die diplomatische "Erneuerung" darin bestehen, dass Israel seinen Geschäftsträger in Wien zum Botschafter hochstuft. Nicht mehr und nicht weniger. Die Beziehungen waren ja nie abgebrochen (so wie die außenpolitische Zusammenarbeit Österreichs mit seinen EU-Partnern auch während der nur in Wien so genannten "Sanktionenzeit" in Wahrheit nie aufgehört hatte).
Wenn alles gut geht, dann könnte Österreich diplomatisch bald wieder in aller Form mit Israel verkehren. Abgesichert ist das jedoch keineswegs, wie die vorsichtige Bestätigung eines "Vorganges" durch das israelische Außenministerium zeigt.
Was dafür noch notwendig und zu tun ist, das hat sogar schon Sharon, der rechte Hardliner, in seinem Interview mit Michel Friedman bereits ziemlich klar gesagt (aber Österreich wäre nicht Österreich, wenn entscheidende Nebensätze nicht unterspielt würden). Sharon erklärte nicht nur, dass er "denke, dass die Lösung des Problems nicht der Boykott ist, sondern Gespräche, Forderungen und die Mobilisierung aller Menschen, die an die Demokratie glauben". Er betonte in der Folge auch: "Die Menschen, die an Werte glauben und gegen Antisemitismus und Neo-Nationalsozialismus sind, denken, dass die jüdische Welt stärker an dieser Mobilisierung arbeiten sollte. Das ist unsere Aufgabe."
Sharon sagte das als Antwort auf die Frage, ob er auch jene europäischen Länder boykottieren wolle, in denen "rechtsradikale" Parteien starken Zuwachs erreicht hätten. Auf den spezifisch österreichischen Kontext bezogen klingt das also weniger wie ein diplomatischer Befreiungsschlag, sondern ganz nach einem Arbeitsauftrag für vernünftige Geschichts- und Holocaustbetrachtung.
Diesbezügliche Versäumnisse und Bruno Kreiskys propalästinensische Politik waren jahrzehntelang der Grund für schlechte Beziehungen zwischen Wien und Jerusalem. Nur in wenigen Jahren der Regierung Vranitzky und nach dessen Holocaust-Erklärungen gab es so etwas wie gute. 2002 könnte man jetzt wieder mit normal-schlechten Beziehungen beginnen. Immerhin: Ganz am Anfang steht man nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.7.2002)