Mensch
Erröten kann krankhaft werden
Wenn eine ganz normale menschliche Reaktion in "Erythrophobie" umschlägt: "Das Entscheidende ist, ob es dem Menschen etwas ausmacht"
München - "Ich ärgere mich manchmal, dass ich in bestimmten
Situationen immer noch rot werde", sagt die 36-jährige Katharina.
"Das sollte doch eigentlich mit der Pubertät vorbei sein." Besonders
stark kämpft sie damit, wenn sie vor vielen Menschen sprechen muss.
"Dann zittern auch noch die Hände, und die Stimme vibriert. Es ärgert
mich, dass dann so ziemlich jeder merkt, dass ich aufgeregt bin." Eigentlich ist das Erröten eine ganz normale menschliche Reaktion,
wie die Psychologin Doris Wolf aus Mannheim sagt. Auf Grund von
Stress steigt der Blutdruck. Um sich vor Überhitzung zu schützen,
erweitert der Körper die Blutgefäße, und der Betroffene bekommt eine
"rote Birne". Welche Ereignisse Stress und damit Erröten hervorrufen,
ist ganz individuell: Standardsituationen seien Lob, Kritik oder das
Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen, erklärt Wolf, die auch Autorin des
Buches "Keine Angst vor dem Erröten" ist.
"Das Entscheidende ist, ob es dem
Menschen etwas ausmacht"
Zum Problem wird das Rotwerden aber erst dann, wenn sich der
Betroffene deswegen verurteilt. Die Psychologin Babette Renneberg von
der Universität Heidelberg erklärt: "Das Entscheidende ist, ob es dem
Menschen etwas ausmacht." Wenn sich der Betroffene bloß gestellt
fühlt und Angst vor dem nächsten Erröten hat, kann er in einen
Teufelskreis geraten: Sobald er merkt, dass ihm heiß wird, gerät er
in Panik und wird deshalb erst recht hochrot.
Die Angst vor dem Rotwerden, die Fachleute "Erythrophobie" nennen,
kann zur Krankheit werden. Die Betroffenen fingen an, Situationen zu
meiden, in denen sie erröten könnten, sagt der Verhaltenstherapeut
Johannes Herrle aus Mannheim. Sie versuchten, ihr Leben um das
Problem "herumzuorganisieren": Sie wählten zum Beispiel ein deckendes
Make-up oder spezielle Kleidung und zögen sich zurück. "Einsamkeit
und das Nicht-Wahrnehmen beruflicher Chancen können die Folgen sein",
erklärt Herrle.
Körperliche Voraussetzungen
Es gibt eine Veranlagung zum Erröten, sagt der Experte. So neigen
Menschen mit heller, dünner Haut eher dazu. Daneben können bestimmte
Erlebnisse oder die Erziehung zu einer erhöhten Bereitschaft führen:
Menschen, die möglichst gut auf andere wirken wollen und einen hohen
Leistungsanspruch haben, leiden häufiger unter Erythrophobie.
Wolf zufolge werden vor allem Teenager leicht rot. Sie fühlten
sich häufig noch unsicher in der Erwachsenenrolle. Doch das Phänomen
sei nicht auf sie beschränkt: "Ich bekomme auch noch Leserbriefe von
70-Jährigen."
"Es kann eine Hausaufgabe sein, sich
zehn peinlichen Situationen zu stellen"
Wer stark unter dem Rotwerden leide, sollte zum Therapeuten gehen,
raten Experten einstimmig. Die meisten empfehlen eine
Verhaltenstherapie. Dabei werden die Patienten mit Situationen
konfrontiert, die sie zu vermeiden suchen, und erleben dabei, dass
sie diese bewältigen können. "Es kann eine Hausaufgabe sein, sich
zehn peinlichen Situationen zu stellen", sagt Herrle. "Man wirft zum
Beispiel im Supermarkt eine Schachtel Eier runter und erfährt, wie
alle schauen." Wichtig sei die Erkenntnis, dass eine rote Birne gar
nicht so schlimm ist.
Babette Renneberg empfiehlt ihren Patienten sogar, sich in
bestimmten Situationen vorzunehmen, rot zu werden. "Sie sollen
versuchen, es noch schlimmer zu machen." Dadurch lernten sie, das
Erröten zu akzeptieren und könnten es zudem besser steuern. Außerdem
hat die Psychologin noch einen Trost: Viele Menschen werden gar nicht
rot, wenn sie die Hitze in sich aufsteigen fühlen. (APA/AP)