International
Russlands Geheimdienst im Zwielicht
Verdächtiger nennt FSB als Urheber der Bombenserie 1999 - Beginn von Putins Aufstieg
Moskau/Wien - Spekulationen
über die Rolle des russischen
Inlandsgeheimdienstes FSB
bei der verheerenden Bombenserie im Herbst 1999 haben durch Behauptungen eines ehemaligen Agenten und
des angeblichen Hauptverdächtigen neue Nahrung erhalten. Sollten sich die Angaben erhärten, könnte dies Präsident Wladimir Putin in eine
schwierige Lage bringen.
Die Attentate auf Wohnhäuser in Moskau und Wolgodonsk, bei denen rund 300
Menschen ums Leben kamen,
werden von Moskau tschetschenischen Terroristen angelastet. Mit ihnen begründete
der damalige Regierungschef
Putin den im selben Herbst
angeordneten zweiten Tschetschenien-Feldzug, der ihn
populär machte und entscheidend zu seinem Einzug ins
Präsidentenamt beitrug.
Im Auftrag des FSB...
Gegenüber der parlamentarischen Untersuchungskommission bekräftigte jetzt der
ehemalige FSB-Offizier Alexander Litwinenko frühere
Behauptungen, wonach der
Geheimdienst hinter den Terrorakten stehe. Litwinenko
machte seine Aussagen am
Donnerstag in einer Videoschaltung aus seinem Londoner Exil nach Moskau. Demnach habe der vom FSB als
Hauptverdächtiger genannte
Atschemes Gotschijajew ihm
geschildert, wie er für einen
tschetschenischen Freund
Moskauer Kellerwohnungen
angemietet habe. Dieser
Tschetschene habe im Auftrag
des FSB gehandelt. In zwei der
Häuser seien später Bomben
explodiert, mehr als 200 Menschen starben. In weiteren
zwei Gebäuden habe die Polizei nach Warnungen Gotschijajews Sprengsätze gefunden.
Gotschijajew, 32-jähriger
Russe aus der nordkaukasischen Republik Karatschai-Tscherkessien, befindet sich seit 1999 auf der Flucht. Er
selbst bestätigt die Angaben
Litwinenkos, und zwar mittels
einen handgeschriebenen
Briefes, Fotos und einer Filmsequenz, die er einem tschetschenischen Emissär übergab
und die vom Tschetschenischen Informationszentrum
in Warschau präsentiert wurden. In dem Brief, der auszugsweise von der Pariser Tagezeitung Le Monde veröffentlicht wurde, spricht Gotschijajew von einem "monströsen Plan, ausgearbeitet und
realisiert von denen, die davon profitiert haben", und an
dessen Ende er selbst liquidiert werden sollte. (DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.7.2002)