Bayreuths Festspielchef Wolfgang Wagner sitzt wieder fest im Sattel, und durch Brigitte Hamanns Buch über "Hitlers Bayreuth" darf er auch noch über seinen toten Bruder Wieland triumphieren.So unangefochten wie in diesem Jahr ist Bayreuths 82-jähriger Festspielchef Wolfgang Wagner schon lange nicht dagestanden. Da tut es nichts zur Sache, dass sein Gang etwas langsamer scheint und Gemahlin Gudrun ihm soufflieren muss, wenn ihr seine Reaktionen nicht spontan genug erscheinen. Doch wenn er reagiert, dann reagiert er wie gewohnt. So kontert er die Frage, wie ihm denn die zumindest szenisch missglückte neue Tannhäuser -Produktion gefalle, polemisch: "Glauben Sie, ich werde jetzt sagen, die haben Scheiße gebaut?" Nicht weniger deutlich dürfte er während der letzten Jahre wohl die Mitglieder des Stiftungsrates auf seinen lebenslang gültigen Vertrag als Festspielchef verwiesen haben, als diese ihm beharrlich nahe legten, einen Nachfolger zu designieren und sich irgendwann einmal doch zum Rückzug zu entschließen. Mit rarer mentaler Dickhäutigkeit hat er die in ihren argumentatorischen Waffengängen auch nicht sonderlich illuminierten Schildknappen der SPD-Intelligenzija abgewehrt. So nachhaltig, dass der rot-grüne Bund die zunächst gekürzten Subventionen an Bayreuth nun wieder brav in voller Höhe und ohne Wenn und Aber überweist.

"Freier Mitarbeiter"

Um der Form Genüge zu tun, fungiert der Intendant des Münchner Theaters am Gärtnerplatz, Klaus Schultz, als "Freier Mitarbeiter der Festspielleitung", der für den Fall des Falles bis zur Klärung der Nachfolge die Geschäfte führen soll. Dass dafür Wolfgang Wagners Tochter aus zweiter Ehe, Katharina, ausersehen ist, pfeifen zumindest gegenwärtig auf dem Grünen Hügel alle Spatzen von den Dächern. Neben Assistenzarbeit in der Festspielleitung, in die sie jetzt schon eingebunden ist, soll ihr die erste selbstständige Inszenierung, ein in Würzburg geplanter Holländer, zusätzliche Qualifikationen bringen. Wäre doch wirklich gelacht, wenn das nicht auch noch glatt ginge.

Kommt doch offenbar nicht nur ein Unglück, sondern auch ein Glück selten allein. So gesellt sich im Falle Wolfgang Wagners zu dessen Triumph über seine vertragspolitischen Widersacher auch noch (in aller gebotenen Stille wohl) ein posthumer über seinen Bruder Wieland.

Während der letzten Jahre kam Wolfgang Wagner immer wieder mit viel sagender Miene auf ein in Entstehung begriffenes Buch zu sprechen, das so manches an den über die NS-Verstrickungen seiner Familie, insbesondere seiner Mutter Winifred kursierenden Vorurteilen aufgrund seriöser Quellen korrigieren sollte. Nun liegt das Buch vor: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. In dem bei Piper erschienenen, fast 700 Seiten starken, von Brigitte Hamann souverän gestalteten Puzzle aus Tagebuchaufzeichnungen, Protokollen, Briefen, Zeitungsberichten und Buchzitaten wird das gängige Bild von Winifred Wagner allerdings eher gefestigt als revidiert.

Kommt doch auch Brigitte Hamann um den Kernsatz Winifreds aus Hans-Jürgen Syberbergs mehrstündigem Filminterview aus dem Jahr 1975 nicht herum: "Wenn der Hitler zum Beispiel heute hier zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso fröhlich und glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben, wie immer."

Ins Monströse wächst diese ohnedies hinlänglich bekannte emotionale Starrheit, wenn Brigitte Hamann nachweist, dass Winifreds Verhältnis zu Hitler in den letzten Kriegsjahren bis zur vollkommenen Kontaktlosigkeit getrübt war.

Ganz im Gegensatz zu ihrem Sohn Wieland. In seinem Bestreben, seine Mutter und den ihr nahe stehenden Regisseur Heinz Tietjen von der Festspielleitung zu verdrängen, versuchte er seine Kontakte zu Hitler voll zu lukrieren. Im Oktober 1942 intervenierte Wieland Wagner nicht nur bei Hitler, sondern auch bei Goebbels gegen seine Mutter und Tietjen. Worauf der Reichspropagandaminister in sein Tagebuch schrieb: ". . . in diese Familieninterna möchte ich nicht hineingezogen werden. Bayreuth ist von jeher ein Klatsch- und Tratschnest gewesen, wer diesen Schmutz anfasst, besudelt sich damit."

Und noch im Dezember 1944 ist Wieland mit Gemahlin Gertrud und dem Ehepaar Lafferentz im Führerbunker Hitlers Gast bei einem für zwei Uhr nachts anberaumten gespenstischen "Mittagessen".

Getreuer Eckart

Auffällig an Hamanns Faktencollage bleibt, dass von Wolfgang Wagner, der durch das Buch seines Sohnes Gottfried (Wer mit dem Wolf heult) in Sachen NS-Vergangenheit immerhin auch einiges Fett abbekam, nur selten und wenn, dann eher in neutralem Zusammenhang die Rede ist. Dass ihm eher die Rolle eines getreuen Eckart zugewiesen wird, der hilfreich und mäßigend zur Stelle ist, mag zwei Gründe haben. Entweder war es wirklich so. Oder es waren der Autorin nicht alle Quellen zugänglich. Immerhin hat Winifred viele Dokumente fürsorglich an einem bis heute unbekannten Ort versteckt.

Egal. Wolfgang Wagners allfällige Genugtuung über dieses Buch wäre trotz allem fehl am Platz. Wird doch durch kein einziges Faktum, das nun bekannt wurde, auch nur das geringste persönliche Verschulden Wielands belegt. Auch keine seiner epochalen Inszenierungen wird durch diese Indizien auch nur um ein Deut schlechter und sein Verdienst, Bayreuth ästhetisch nachhaltig entnazifiziert zu haben, kaum geschmälert. Vielmehr sind die vorgelegten Belege Dokumente eines vitalen künstlerischen Opportunismus, der schon Vergil nicht fragen ließ, für wen er eigentlich die Äneis schreibt.

So verständlich die allgemeine Tendenz, Wieland Wagner für seinen ideologisch wohl allzu sorglosen Umgang mit verbrecherischen Machthabern zu verurteilen, daher auch ist, so eindringlich sollte die Lehre sein, die aus diesem "Fall" zu ziehen ist: nämlich, wie rasch künstlerischer Ehrgeiz im Umgang mit der Macht schuldhaft werden kann. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2002)