Wenn auch der Versuch, Milton Friedmans riesiges Werk auf einer knappen Seite zu würdigen, ähnlich vermessen erscheinen muss wie "die Niagara-Fälle mit einem Bierkrug einzufangen", darf es der Bedeutung dieses großen Wissenschafters wegen zu seinem 90. Geburtstag dennoch gewagt werden. Milton Friedman wurde am 31. Juli 1912 in New York als viertes Kind in eine Familie osteuropäischer Einwanderer geboren und wuchs in Rahway, einer der trostlosen Industrievorstädte, in bitterer Armut heran. Nachdem er schon früh seinen Vater verloren hatte, musste er durch Gelegenheitsarbeiten nicht nur seine Familie versorgen, sondern auch seine Schulausbildung finanzieren. Ein mageres Stipendium, das ihm seiner analytischen Begabung wegen gewährt wurde, erlaubte ihm ein Mathematikstudium an der Rutgers University. Von dort wurde er mit einem ebenso bescheidenen Zuschuss an die University of Chicago zum Studium der Wirtschaftswissenschaften weiterempfohlen. Die Publikation seiner Dissertation, von der er sich endlich eine deutliche Verbesserung seiner finanziellen Not erwartet hätte, wurde allerdings wegen der Aufdeckung ihrer unlauteren Monopolpraktiken durch die US-Medizinlobby von 1935 bis 1945 unterbunden. Knapp 25-jährig ging er ans National Bureau of Economic Research und wurde dort mit den empirischen Untersuchungen zur US-Einkommens- und Konsumstruktur betraut. 1938 heiratete er Rose Director, seine Studienkollegin aus Chicago. 60 Jahre später veröffentlichten sie ihre gemeinsame Biografie: "Two Lucky People" (1998). Im Krieg arbeitete Friedman als Mathematiker bei der Munitionsproduktion und formulierte dort erstmals seine statistische Technik, die nach dem Krieg als "sequential sampling" bekannt und einflussreich wurde. 1946 kehrte er nach Chicago zurück und blieb dort, bis er als Mitbegründer der Chicago School of Economics 1976 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Seit 1978 arbeitet er als Research Fellow an der Hoover Institution in Stanford. Einfluss Poppers Friedmans wissenschaftlicher Ruhm beruht in der Hauptsache auf seinen bahnbrechenden Arbeiten zur Konsumtheorie, zur Geldtheorie, auf seiner Theorie der natürlichen Rate der Arbeitslosigkeit und auf seinem nicht ganz unumstrittenen methodologischen Ansatz, der im Wesentlichen auf Popper zurückgeht. Der Nutzen einer Theorie ist für Friedman nur durch deren "Vorraussage-" und "Kontrollkraft" bestimmt, wobei die Realitätsnähe von Annahmen für deren Gültigkeit unerheblich ist. Einziger Test einer Theorie ist daher nur deren Fähigkeit, falsifizierbare Vorraussagen über bisher noch nicht beobachtete Phänomene zu liefern. In seinem bahnbrechenden Buch "A Theory of the Consumption Function" (1957) führte er die Begriffe des "permanenten" und "transitorischen" Einkommens ein und wies empirisch nach, dass sich Konsumgewohnheiten trotz variierender Einkommen kaum verändern. Etwa zur gleichen Zeit gelang ihm die Neuformulierung der Quantitätstheorie des Geldes. Geld ist hier als Vermögensmaßstab unter Einschluss von Realkapital, Humankapital oder Geldsubstituten definiert und bezieht die Erwartungshaltung bei Kaufkraftabnahme als Größe in die Gleichung ein. Galten bei Keynes Zinsen und Nachfrage nach Vermögenswerten als Determinanten wirtschaftlicher Tätigkeit, übt bei Friedman das Geld direkten Einfluss auf die Wirtschaft aus. Friedman gelingt hier die Integration von Wohlstand und Einkommen als Einflüsse auf das Konsumverhalten. Während die Lehre noch eine stabile Wechselwirkung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit annahm und der Wirtschaftspolitik daher nur die Wahl zwischen niedriger Arbeitslosigkeit bei höherer Inflationsrate oder höherer Arbeitslosigkeit bei geringerer Inflation ließ, wies Friedman schon 1961 nach, dass dieser Trade-off nur eine Illusion ist. In seinem Essay "The Role of Monetary Policy" (1961) unterzog er die Thesen, der freie Markt wäre nicht nur unfähig, Arbeitslosigkeit und Preisstabilität gleichzeitig zu gewährleisten, sondern Arbeitslosigkeit und Depression könnten nur durch vermehrte Staatsausgaben überwunden werden, einer vernichtenden Kritik. Ein höherer Beschäftigungsstand kann nicht generell durch Inflation erkauft werden, sondern nur die unerwartete Inflation kann temporär zu geringerer Arbeitslosigkeit führen. Sobald allerdings auf Arbeitgeberseite dem Output keine Erhöhung der relativen Nachfrage, sondern nur ein allgemeiner Preisanstieg gegenübersteht und die Arbeitnehmerseite den Kaufkraftverlust der Löhne zu spüren beginnt, wird die Arbeitslosigkeit wieder auf das vorinflationäre Niveau zurückkehren. Arbeitslosigkeit kann daher nur mit immer größeren Dosen unerwarteter Inflation unter diesem Niveau gehalten werden. 1962 erschien sein wichtiges Buch "Capitalism and Freedom", und im selben Jahr wurde er zum Präsident der Mont Pelerin Society gewählt, die Friedrich A. von Hayek 1947 in der Schweiz gegründet hatte. Mit seinem Werk "A Monetary History of the United States. 1867-1960" (1963) gelang ihm (gemeinsam mit Anna J. Schwartz) die Zerstörung eines weiteren Dogmas: Friedman wies nach, dass die große Depression der frühen 30er-Jahre in den USA weder durch Unterkonsumption noch durch das Versagen des kapitalistischen Systems verursacht wurde. Vielmehr löste die rasante Verringerung der Geldmenge wie auch das Versäumnis der Finanzbehörden, die dringende Liquiditätserhöhung durchzuführen, den katastrophalen Bankenkrach aus. Sein gründlich missverstandener (dafür umso häufiger zitierter) Aufsatz über "The Social Responsibility of Business" (1970), sein erfolgreicher Aufruf zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, seine Newsweek-Artikel, besonders aber sein Interview im Playboy (1973) brachten ihn in akademischen Misskredit. Führender Monetarist 1974 veröffentlichte er die geld- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen seines Systems, die als "Monetarismus" bekannt wurden. Reichlich verwässert wurde er ab 1979 als "Thatcherism" oder "Reaganomics" angewandt. Nach Friedman sollte bei gleichzeitigem Abbau der Staatstätigkeit die durch die Notenbank kontrollierte Geldmenge nie stärker wachsen, als die Produktivität der Wirtschaft im selben Zeitraum zunimmt. Längst überfällig und trotz weltweiter Proteste wurde Friedman 1976 der Nobelpreis verliehen. In seinem Festvortrag definierte er die "natürliche Rate der Arbeitslosigkeit" als die niedrigste, die ohne unerwartete oder beschleunigte Inflation erreicht werden kann. Für ihn muss jeder Versuch, Arbeitslosigkeit durch Vermehrung der Geldmenge unter diese "natürliche Rate" zu drücken, an beschleunigter Inflation scheitern. Nach rund 35 Büchern und fast 600 Aufsätzen zählt Friedman zu den originellsten und einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftern unserer Zeit. Sein Ruf als unumstrittenes Haupt der Chicago School of Economics, als Nobelpreisträger, Berater, und als eloquenter Vertreter des freien Marktes ist legendär. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2002)