Wien - Das sei "nur eine Legende. Eine Sage, wenn Sie so wollen", wehrt der Türmer im Stephansdom die Frage nach der Kegelbahn ab. So, wie er auch gleich richtig stellt, dass nur noch die Bezeichnung vom ursprünglichen "Türmer" übrig geblieben sei. Er sitzt nun zweimal die Woche hier heroben - etwa 67 Meter über dem Stephansplatz-Niveau -, sieht nach dem Rechten und verkauft Karten, Führer und Mitbringsel. Außerdem heißt der Mann in der Türmerstube vom Stephansturm natürlich Stefan.Die ursprüngliche Tätigkeit der Türmer zu St. Stephan wurde im Jänner 1956 beendet. Bis dahin waren sie vor allem hier oben gesessen, um nach möglichen Bränden in der Stadt Ausschau zu halten. Wenn sie ein Feuer erblickten, dann signalisierten sie es mithilfe einer Fahne oder nächtens mit einer Signallaterne. Jener Türmer der Sage aber, der hatte seinerzeit jedenfalls genug Zeit gehabt, um zwischen dem Ausschau- halten seine Kunstfertigkeit im Kegeln zu perfektionieren. Und da nicht viel Platz für die Bahn war, musste hier die Kugel rückwärts - zwischen den Beinen hindurch - gespielt werden. Bis dann eines Nachts aber der Schindelmacher, Meister Kunrat, zum Kegeln hier heraufkam und in seinem Suff fluchend die Kugel spielen wollte. Doch auf einmal war auch ein grau Gewandeter in der Türmerstube, um gegen ihn anzutreten. Kunrat spielte alle neune. Dann warf er einen Kegel den Turm hinunter: "Macht es mir nach, wenn ihr könnt!" Der Graue antwortete: "Ich bin der Tod und treffe auch alle neun, wo nur acht sind." Er spielte die Kugel, die Kegel fielen mit unheimlichem Gerassel - und als neunter fiel Kunrat. Von der Kegelbahn gibt es im Turm längst keine Spur mehr. Die einzige Kugel hier heroben ist eine Kanonenkugel aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683. Ansonsten steigen nur noch die Touristen die 343 Stufen hinauf: Manchmal kommen sie mit Kind und Kegel. (Roman Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 30.07.2002)