Cambridge, Wien - Armut ist nicht der primäre Antrieb für
"Terroristen" im Nahen Osten - zumindest nicht die persönliche Armut.
Terrorismus sei weniger als Antwort auf schlechte Marktbedingungen
oder Unwissenheit zu sehen denn als Reaktion auf politische
Rahmenbedingungen und langjährige Gefühle von Erniedrigung und
Frustration, ergab eine im Juli veröffentlichte Analyse über den
Zusammenhang von Ausbildung, Armut, politischer Gewalt und
Terrorismus des National Bureau of Economic Research, Cambridge,
Massachusetts.
Studie an Hisbollah Milizen
Die Autoren dieser
Studie
, die beiden Professoren Alan Krueger und
Jitka Maleckova, werteten statistische Daten von 129 libanesischen
Hisbollah Milizen, die im Zuge von paramilitärischen Aktionen gegen
Israel in den Jahren von 1982 und 1994 ums Leben gekommen waren, im
Vergleich mit der Libanesischen Bevölkerung der gleichen Altersgruppe
(15-38) aus. Die Untersuchung ergab, dass kein signifikanter
Zusammenhang zwischen mangelnder Ausbildung und Armut und der
Wahrscheinlichkeit, dass "Individuen Märtyrer für die Hisbollah"
werden, zu erkennen ist.
Studie: Höhere Schulbildung der Attentäter
Vielmehr sei eine stärkere Verbindung zwischen einem Leben über
der Armutsgrenze, höherer Schulbildung und der Teilnahme an der
Hisbollah gegeben. Während sechs Prozent der libanesischen
Gesamtbevölkerung Analphabeten sind, fand sich unter den ums Leben
gekommenen Hisbollah-Milizen kein einziger. Immerhin 33 Prozent der
Attentäter hatten einen höheren Schulabschluss, wohingegen nur 23
Prozent der Gesamtbevölkerung über höhere Schulbildung verfügen.
Bezüglich der wirtschaftlichen Situation der Attentäter ergibt die
Untersuchung, dass nur 28 Prozent der Hisbollah-Milizen gegenüber 33
Prozent der Gesamtbevölkerung in Armut leben.
Drahtzieher aus "besseren Verhältnissen"
Krueger und Maleckova mutmaßen sogar, dass die untersuchten
Individuen - welche ja bei paramilitärischen Aktionen umkamen - eher
die "Fußsoldaten" der sehr heterogen zusammengesetzten Hisbollah
seien; die Drahtzieher könnten somit aus noch besser situierten
Verhältnissen stammen. Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit
jenen aus biografischen Daten, die über palästinensische
Selbstmordattentäter gesammelt wurden. Auch eine Untersuchung von
israelischen Juden, welche in den frühen 80er Jahren an
terroristischen Aktivitäten in den besetzten Gebieten teilgenommen
hatten, belege, dass diese zum Großteil eine höhere Schulbildung
genossen und eine gut bezahlte Arbeit hatten.
Armut als Grund für den Terrorismus auf nationaler Ebene
Allerdings dürfe man, betonen die Autoren, daraus nicht schließen,
dass Armut keinen Einfluss auf Terrorismus hätte - auf nationaler
Ebene könne Armut durchaus ein Grund sein. In einem verarmten Land
könne beispielsweise eine Minderheit von besser gestellten Menschen
den Weg des Terrorismus einschlagen, um die ökonomischen Bedingungen
für die Mitbürger zu verbessern. Dies erkläre freilich nicht die
terroristischen Aktivitäten in reicheren Ländern wie Irland oder
Spanien.
Die Annahme, Terrorismus und Armut stünden stünden in
unmittelbarem Zusammenhang, sehen die Autoren generell als
problematisch. Denn in diesem Fall könnte die internationale
wirtschaftliche Hilfe für Entwicklungsländer verringert werden,
sobald die Terrorismusgefahr schwinde. (APA)