Fast genau ein Jahr ist es her, dass Thomas Middelhoff der Süddeutschen Zeitung sagte: "Wenn meine Batterie eines Tages zu leer sein sollte, um weiterzugestalten und dem Unternehmen dienen zu können, dann muss man mich nicht hinaustragen. Dann gehe ich von alleine."Nun dürfte es nicht an Batterieschwäche liegen, dass der 49-jährige Vorstandschef Bertelsmann verlässt. Konzernpatriarch Reinhard Mohn will ihn den Medienriesen nicht mehr in seinem Tempo "weitergestalten" lassen. Seine Geschwindigkeit ist für die Umgebung schwer zu halten: Er "kennt keine Pausen", beschrieb ihn das zum Konzern gehörende Wirtschaftsmagazin Capital. Bertelsmann "weitergestalten" meinte für Middelhoff auch Börsengang. Darauf hatte der - zunächst von Middelhoff überzeugte - Mohn angesichts der Börsekatastrophen immer weniger Lust. Middelhoffs Job übernimmt Gunter Tielen, bisher im Bertelsmann-Vorstand zuständig für Druckereien und dergleichen Old Economy. Ein Kontrast zu dem zehn Jahre jüngeren Vorgänger, der so lange Internet als "unseren Schlüssel zur Zukunft" pries. Mit 41 in den Vorstand Dabei begann auch Middelhoff seine Bertelsmann seit 1986 treue Karriere bei deren Druckereien. 1994 kam er mit 41 Jahren in den Konzernvorstand. Nun zuständig für zentrale Unternehmensentwicklung und Multimedia, dauernd in den USA und bald im Board des Onlineriesen AOL. 1998 dann Vorstandschef von Bertelsmann. Wirklich gutes Geld brachte AOL Bertelsmann erst, als Middelhoff die Anteile in den USA und an AOL Europa noch vor dem Zusammenbruch des Internethype verkaufte. Ende 2001 dankt ihm der Aufsichtsrat für seine geschickten Verkäufe mit einem zweistelligen Millionenbetrag extra. Günstig verkauft hat er auch schon Bertelsmanns Premiere-Anteile an Leo Kirch, dessen Konzern nicht zuletzt dank dieses Milliardengrabes gerade zerbröselt. Gekauft hat Middelhoff indes - neben dem US-Buchriesen Random House - etwa die Musiktauschbörse Napster. Selbst seine Euphorie über das Internet tönte freilich zuletzt nicht mehr so laut. Er verlegte sich und die Konzernhoffnung auf die RTL-Group und damit auch den Börsengang, der auf immer weniger Gegenliebe stieß. Die drei Söhne und zwei Töchter mit einer Architektin sollen sich regelmäßig über den seltenen Anblick ihres Vaters beschweren, nebstbei überzeugter Katholik, ehemaliger Messdiener und von Studienkollegen privat als "langweilig" beschrieben. Dass der Nachwuchs den Workaholic auf Dauer öfter zu sehen bekommt, ist unwahrscheinlich. Auch wenn ihm die Deutsche Telekom den Chefsessel bisher nicht angeboten haben will. Bei AOL schätzt man Middelhoff ja auch. (DER STANDARD, Printausgabe 30.7.2002)