Im römischen Senat herrschte am Montag Belagerungszustand. Während draußen aufgebrachte Demonstranten um den Filmemacher Nanni Moretti den Umgang der Regierung mit der Justiz kritisierten, lieferten sich in der Justizkommission Mehrheit und Opposition einen regelrechten Kleinkrieg um einen umstrittenen Gesetzentwurf. Er sieht vor, dass jeder Bürger einen Richter als befangen ablehnen kann. Dazu genügt der bloße Verdacht.Die Überzeugung der Opposition, der Gesetzentwurf sei für Silvio Berlusconi maßgeschneidert, stützt sich vor allem auf zwei Artikel. So kann der Antrag auf Verlegung des Gerichtsortes auch rückwirkend für bereits laufende Verfahren gestellt werden. Bis zur Entscheidung des Kassationsgerichts über den Antrag läuft die Verjährung weiter. Damit könnte sich der Premier aus dem in Mailand laufenden Korruptionsverfahren befreien, dessen Urteil im Oktober erwartet wird. Dort sind Berlusconi und dessen ehemaliger Anwalt Cesare Previti der Bestechung eines Richters angeklagt. Seit über zwei Jahren versucht ein Pulk von Anwälten, das Verfahren gegen den Regierungschef sowie den schwerreichen Lobbyisten und ehemaligen Verteidigungsminister Previti mit allen Mitteln zu verzögern. Donnerstag lehnten die Mailänder Richter den jüngsten Antrag Previtis ab, das Verfahren aus Gesundheitsgründen zu unterbrechen. In der Justizkommission des Senats versuchte das Linksbündnis, den strittigen Gesetzentwurf durch eine Flut von Abänderungsanträge zu verzögern. Diese Strategie vereitelte das Rechtsbündnis mit einem Trick: Es stimmte einem Antrag der Opposition zu, der Anträge auf Befangenheit bei laufenden Verfahren ausschließt. Dadurch wurden alle weiteren Abänderungsanträge hinfällig. Wenig später kündigte die Regierungsmehrheit an, sie werde den ursprünglichen Text am Mittwoch im Plenum des Senats wiederherstellen. Vergeblich hatte Senatspräsident Marcello Pera versucht, die Abstimmung auf den Herbst zu verschieben. Angesichts der aufgeheizten politischen Stimmung bestehen kaum Zweifel, dass Italien auf den heißesten Herbst seit vielen Jahren zusteuert. Die am Montag vor einer Fiat-Niederlassung und einem Sitz der katholischen Gewerkschaft CISL entschärften Bomben sind ein Indiz dafür. Die Zahl der Streikstunden hat sich in einem Jahr um 650 Prozent erhöht. Die rechte Tageszeitung Libero warf Berlusconi am Donnerstag vor, sein Kabinett habe "auf der ganzen Linie versagt". Dass die Zustimmung für Berlusconi von fast 70 auf 35 Prozent gesunken sei, führte Chefredakteur Vittorio Feltri auf "das reine Nichts" zurück, das die Regierung geboten habe. Die Energie des Rechtsbündnisses erschöpfe sich in Streitigkeiten und Intrigen.(DER STANDARD, Printausgabe, 31.7.2002)