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Da Ponte als Kukident-Lear mit Hang zum singenden Personal: Jörg Gudzuhn (re.) erzählt dem Mädchen Dorka (Annika Kuhl) aus seinem früheren Leben als Librettist

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger
Nicht ganz von dieser Festspiel-Welt ist die Uraufführung von Peter Turrinis "Da Ponte in Santa Fe" im Salzburger Landestheater: Claus Peymann lässt allen Deutungsehrgeiz fahren. Übrig bleibt ein Prachtbeispiel kolossaler Schmiere - mit Jörg Gudzuhn als Titelheld. Salzburg - Bei Salzburger Sonnenlicht besehen, hat der Lavanttaler Dramatiker Peter Turrini ja schon immer über die erhebende Wirkung des Fremdenverkehrs geschrieben: über die untröstlichen Seelen von Bauern, die sich selbst, inmitten ihrer stumpfsinnigen Alltagskultur, ein Rätsel blieben und wegwollten; über Kinobilleteure, die sich in ihren sperrhölzernen Kartenhäuschen fremd blieben und die es daraufhin in eine namenlose Ferne zog. In der Tat: Erst in der Fremde, wo sie die Übermacht unbekannter, sie wiederum befremdender Verhältnisse neuerlich zu überwältigen droht, wachsen Turrinis Figuren zu ihrer vollen, wahnhaften Größe empor. Sie schnattern dann wie der mausgrau zerlumpte k. k. Hofpoet Lorenzo da Ponte (Jörg Gudzuhn) von den guten, alten Zeiten, als er vor dem Reformkaiser Joseph II. auf einer Schönbrunner Parkbank im Stehgreif den weiblichen Schamhügel frivol bedichtete, so in der Art: "bewachs'ner Berg" und "willkomm'ner Riese". Sein einziger Zuhörer in dem dunkelroten Saloon-Ausschank, hinter dessen Galerie die Polstertüren zu einem improvisierten Opernhaus führen, in dem Don Giovanni als eine Art Barstool-Blues gegeben wird, ist ein der Trunksucht verfallener Schuhpastenneger (Axel Werner) als Garderobier, der über so viel kolportierte Geistesgegenwart in ein schallendes Gelächter ausbricht: Da Ponte? Mozart? Der römische Kaiser? Dieser unmanierliche Greis, dessen helle Augen in die von Feuerwasserdampf und Mozart-Fetzen geschwängerte Luft strahlen, soll also der wichtigste Opernlibrettist der Neuzeit sein. - Und hier folgt ein dickes Ausrufezeichen, das der Dramatiker Peter Turrini wie ein Riese vom Steinfeld in den morschen Boden des Salzburger Landestheaters rammt. Denn eigentlich hat sich der Herr Fremdenverkehrsdichter schwer übernommen: Hat rund um das verbürgt unstete Leben der historischen Da-Ponte-Figur eine Art Holzwestern geschnitzt - mit lauter gefräßigen Würmern im Satzgebälk und im Dramengestühl. Plüsch und Sperrholz Die lugen hinter jedem Satz von Da Ponte in Santa Fe hervor und fressen, rund um die plüschbemalte Sperrholz-Szenerie (Bühne: Rolf Glittenberg) mit schnauzbärtigen Sheriffs, fettnackigen Zirkustürstehern, einem gedunsenen Frack-Impresario (Heribert Sasse) mit der verkniffenen Miene eines alten Fischs, das ganze liebe, lahme Stück kahl. Ein Stück neu-mexikanischer Wüstendramatik, als Andachtsspiel bis zur Unkenntlichkeit verkleidet! Peter Turrini wurde, das sei hier bereits verraten, für sein Frühalterswerk kräftig ausgebuht. Die nachvollziehbare Empörung verkennt aber die besondere Liebenswürdigkeit, die in diesem dramatischen Häuptling Silberpfeil -Heft sozusagen wie ein toter Hund begraben liegt (mit Regisseur Claus Peymann als Postkartenmaler und Chef-Weichzeichner in inszenierender Personalunion). Denn Gudzuhn reißt mit ein paar wenigen Luftstreichen ein ganzes, staubüberzogenes Fantasie-Eiland auf: Er nimmt den Turrini ganz einfach beim Wort. Und siehe: Das Wort ist hinfälliges Fleisch geworden. Gudzuhn presst als Da Ponte im mit Jauche bespritzten Prospero-Mantel durch seine Kupferprothese das Kauderwelsch des liederlichen Lustgreises, der von den kleinen Elevinnen, hier: Annika Kuhl als frommer Kindersingvogel mit roten Haarschleifen, bis in alle Ewigkeit nicht lassen kann. Ein Lumpenkönig; Tunichtgut - die Tragödie des gewerbsmäßigen Aufschneiders als Drama des impotenten Mannes. Und wer möchte, erkennt in dieser ergreifenden, hohl tönenden, kreidig knatternden Hochstaplerfigur auch den alternden Minetti, der in Thomas Bernhards gleichnamigem Stück ein kleines Mädchen zärtlich umwirbt - bis ihn die Schneewolken unter sich begraben. Umständehalber, und weil Claus Peymann pünktlich zum kolossalen Misserfolg von Da Ponte in Santa Fe als Intendant des längst gespensterhaft gewordenen Berliner Ensembles bis 2007 bestätigt worden ist: Hier zeichnet sich, gelinde gesagt, ein Unvermögen ab. Hier schüttelt und witzelt sich eine Generation von Theatermachern dem Grabe, will heißen: dem Vorruhestand entgegen. Doch bis es so weit ist, erleben wir noch eine veritable Götterdämmerung: Die Salzburger Festspiele verrennen sich in die Über-Schmiere. Erzählen das Siechtum des armen Da Ponte mit schmallippiger Xanthippe (Elisabeth Schwarz), einem falschen Mozart-Bankräuber (Tobias Moretti), einem zum Gesang berufenen Saloon-Kraftmeier (Michael Rothmann) als Neue-Welt-Klamotte mit Hau-drauf-Zuschlag. Das Stück ähnelt dem verschlissenen Prunkmantel, der zwischen Da Ponte und Garderobier pausenlos hin- und hergeht. Die Könige sind nackt: kein Grund, sich zu erregen. Amerika, du hast es besser, wusste schon der alte Goethe. In Salzburg kollabiert langsam das System der müden, mürben Auftragswerke. Übrig bleibt, bis auf Widerruf, ein lächerlicher Spaß. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.7.2002)