Zoran Djindjic, im Westen wohlgelittener Regierungschef Serbiens, liefert ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig zimperlich er im Umgang mit der Macht ist. Indem er - formal scheinbar korrekt durch einen Beschluss des zuständigen Parlamentsausschusses - der Partei seines einstigen Bündnispartners und jetzigen Rivalen Vojislav Kostunica sämtliche Mandate in der serbischen Volksvertretung aberkennen lässt, setzt Djindjic sich über einen Spruch des höchsten Gerichtes hinweg. Er ignoriert damit kaltblütig ein Grundprinzip der parlamentarischen Demokratie: das des freien Mandats. Dieses kann nur vom Souverän, dem Volk, verliehen und auch wieder entzogen werden, also durch Wahlen.Die Argumentation, Kostunicas Partei habe ihre Parlamentssitze verwirkt, weil sie nicht mehr dem regierenden Bündnis angehöre, ist eine Scheinbegründung und mit dem Prinzip des freien Mandats jedenfalls unvereinbar. Wenn eine Regierung ihren Rückhalt im Parlament verliert, muss sie neue Mehrheiten suchen oder Neuwahlen ausschreiben. Djindjic hält solche Regeln offenbar für überflüssig, ja geradezu lästig. Schließlich geht es um die beste Ausgangsposition für die serbischen Präsidentenwahlen im September. Außerdem scheint sich der serbische Premier der ungebrochenen Unterstützung durch EU und USA sicher zu sein, während Kostunicas Nationalismus viele im Westen die Nase rümpfen lässt. Jetzt aber ist es an der Zeit, Djindjic für sein schweres Foul zumindest die gelbe Karte zu zeigen. Geschieht dies nicht, dann könnten sich die zarten demokratischen Ansätze in Serbien rasch wieder verflüchtigen. Denn die fatale Botschaft wäre: Wer sich zum Westen bekennt, darf sich im Gegenzug (fast) alles erlauben. Unter diesen Umständen kann es auch nicht verwundern, dass laut Umfragen noch immer eine Mehrheit der Serben hinter Slobodan Milosevic steht. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.7.2002)