Inland
"Mit Verbrechen abgeschlossen"
Mutmaßlicher Pate galt als verlässlich – Informantendatei geplant
Wien – Ein Mafiapate? Verantwortlich für mehrere Morde? Jeremiasz B. weist diese
Vorwürfe entschieden zurück.
Seit mehr als einem Jahr befindet sich der in Polen geborene Österreicher wegen
Schmuggelverdachts in Untersuchungshaft. Und wäre
dort, zumindest bis zu seiner
Hauptverhandlung, in Vergessenheit geraten, wären
nicht vor drei Monaten drei
Mafiajäger des Innenministeriums festgenommen worden.
Sie sollen B. als Gegenleistung für Informationen beschützt haben – vor anderen
Kriminalisten, die B. als Paten
im Visier hatten. Doch nach
neuen Erkenntnissen, die dem
Standard
vorliegen, hatte B.
auch diesen anderen Kriminalisten früher als Informant
gedient.
"Kronzeuge"
In einem brisanten Schriftstück des Innenministeriums
(Aktenzahl I 594 846/1-II/OC
25) heißt es: "Jeremiasz B. war
bis 1995 sicherlich im relevanten Bereich innerhalb der
polnischen Kriminalität etabliert, hat jedoch ab diesem
Zeitpunkt mit dem Verbrechen abgeschlossen und stand
hernach als verlässlicher
Kronzeuge zur Verfügung."
Dieser "Empfehlung" sollen
Erkenntnisse der Kripo Niederösterreich zugrunde liegen, die B. seit 1991 als so genannten V-Mann geführt hatte. In weiterer Folge "diente"
B. den Mafiafahndern des Innenministeriums.
Bis schließlich die niederösterreichischen Kriminalisten im vergangenen Jahr ihren
alten Bekannten B. verhafteten. Was wiederum die Mafiafahnder des Innenministeriums in die sprichwörtliche
Bredouille brachte: Amtsmissbrauch und Zusammenarbeit mit einem angeblich
Schwerkriminellen lauten die
gegen die drei suspendierten
Kriminalbeamten erhobenen
Vorwürfe.
Intrigen um Posten
Für B.s Rechtsanwalt Karl
Bernhauser liegt die Lösung
des "Informantenstadls" in
den Wirren der derzeitigen
Polizeireform. Er vermutet,
dass sich Kripobeamte mit gezielten Intrigen bessere Posten
verschaffen wollen. Einer der
Kriminalisten, die B. von früher kannten und nun auch gegen die Mafiafahnder ermitteln, sei inzwischen bei der
hoch angesehenen Observationsgruppe, einer beim Büro
für Interne Angelegenheiten.
Und sein Mandant, so Bernhauser, sei zwischen die
Mühlsteine geraten.
"Alle Unterstellungen, die
B. als den Mafiapaten
schlechthin darstellen, beruhen auf unterschwellig unsubstanzierten Anwürfen aus
Polen", meint Bernhauser.
Und diese polnischen Vorwürfe wiederum seien Retourkutschen auf wertvolle Informationen, die Jeremiasz B.
dem deutschen Bundeskriminalamt als dessen Informant
geliefert habe.
Informantenregister
Um ähnliche Spitzelschlamassel künftig zu verhindern,
will Innenminister Ernst
Strasser (VP) nun eine so genannte Vertrauenspersonenevidenz schaffen. In der geplanten Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes heißt es:
"Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, personenbezogene Daten von Menschen, die für eine Sicherheitsbehörde verdeckt ermitteln oder ihr Informationen
zur Abwehr gefährlicher Angriffe gegen Zusage einer Belohnung weitergeben, in einer
zentralen Evidenz zu verarbeiten." Erst zehn Jahre nach dem
letzten Hinweis sollen private
Spitzel aus der "Zundliste"
gelöscht werden.
Nicht nur die politische
Opposition läuft Sturm gegen
die Informantendatei. Viele
Kriminalisten zeigen wenig
Bereitschaft, ihre über Jahre
mühsam aufgebauten Kontakte preiszugeben. Sozialdemokraten und Grüne befürchten
überhaupt eine "neue geheime
Privatpolizei", die noch dazu
mit Steuergeldern finanziert
werde. (Michael Simoner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. August 2002)