Wirtschaftspolitik
Der US-Konjunkturmotor stottert
Wachstum im zweiten Quartal geringer als erwartet - Stärke der Erholung infrage gestellt
Washington - Das Wachstumstempo der US-Wirtschaft hat sich im zweiten Quartal vor allem wegen nachlassender Kauflust der Verbraucher überraschend stark abgeschwächt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA stieg laut Handelsministerium zum Vorquartal mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 1,1 Prozent. Analysten sind zuvor von einer doppelt so hohen Rate - nämlich 2,2 Prozent - ausgegangen.Wie stark ist die Erholung?
Angesichts der enttäuschenden Daten wird die Stärke der gegenwärtigen Erholung erneut infrage gestellt. Die Gefahr einer neuerlichen Rezession für die weltgrößte Volkswirtschaft sei Experten zufolge aber gering. Für die ersten drei Monate revidierte das Handelsministerium das Wachstum auf 5,0 Prozent von zuvor 6,1 Prozent kräftig nach unten.
Zur Erklärung: Die Amerikaner berechnen die "annual rate" für ein Quartal, indem sie die Veränderung zum Vorquartal mit dem Faktor vier multiplizieren. In Europa hingegen werden Veränderungen zum entsprechenden Quartal des Vorjahres hergenommen. Laut Konjunkturexperte Markus Marterbauer vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut seien nach heimischer Rechnung für das erste US-Quartal überschlagsmäßig 1,5 Prozent Wachstum anzunehmen, für das zweite etwas über zwei Prozent. Das Wifo hat für die USA ein Jahreswachstum von 2,3 Prozent prognostiziert, "das dürfte aber die Obergrenze werden", so Marterbauer auf S
TANDARD
-Anfrage.
Geringe Kaufbereitschaft
Für die überraschend starke Wachstumsabschwächung machten Analysten vor allem die geringere Kaufbereitschaft der Konsumenten verantwortlich. Die Verbraucherausgaben, die rund zwei Drittel der US-Wirtschaftsleistung ausmachen, legten im zweiten Vierteljahr um annualisiert 1,9 Prozent zu nach plus 3,1 Prozent im ersten Quartal.
"Wir brauchen dringend eine Belebung am Aktienmarkt
Die jüngsten Bilanzskandale in den USA hatten die Aktienmärkte zuletzt stark belastet und zu einer Vertrauenskrise bei Anlegern und Verbrauchern geführt. "Wir brauchen zudem dringend eine Belebung am Arbeitsmarkt, um das Vertrauen und damit auch die Ausgaben der Konsumenten wieder anzukurbeln", so etwa Sal Guatieri, Volkswirt in der Bank of Montreal.
Für das vierte Quartal 2001 meldete die Regierung einen BIP-Zuwachs von 2,7 Prozent, während zuvor ein Plus von 1,7 Prozent genannt worden war. Für das Gesamtjahr 2001 ergab sich daraus ein revidiertes US-BIP von plus 0,3 Prozent. Zuvor waren die USA für 2001 von 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum ausgegangen. Die revidierten Daten zeigen, dass die Wirtschaft in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres geschrumpft ist. Ein Abgleiten in eine - nach amerikanischem Wortgebrauch - "Rezession" wie 2001 wird in den Staaten noch als unwahrscheinlich gesehen. (Reuters, szem, DER STANDARD, Printausgabe 1.8.2002)