Die Karriere der Marilyn Monroe dauerte eigentlich nur ein dutzend Jahre. Ihr Nachruhm indessen währt ungebrochene vierzig Jahre. Anfangs, weil ihr Tod mit 36 Jahren am 5. August 1962 mysteriös genug war, um die Medien zu beschäftigen. Später, weil immer mehr über ihre sexuellen Beziehungen zu den 1963 und 1968 ermordeten Brüdern Kennedy bekannt wurde. Enthüllungen allein sichern keinen dauerhaften Ruhm. Und auch nicht das Faktum, dass sie aus dem Nichts heraus Darstellungskunst entwickelte. Sogar in komischen Rollen. Was hob sie so heraus?Vielleicht, dass sie in die Kamera verliebt war. Sie wusste um die Rolle der Fotografen als Medium. Sie war der Wirklichkeit gewordene Traum, dessen Attraktion sie in die Filme geschwemmt und dann aber auch wieder vernichtet hat. Als Auswirkung der von Männern dominierten Show-Gesellschaft, die ihr viele Verwundungen zugefügt hat. An allen Fotobänden, wie auch dem neuesten von Bert Stern, dem ein kolportagehafter, aber aufschlussreicher Erlebnisbericht des Fotografen vorangestellt ist, ist der ungeheure Variantenreichtum dieser Frau ablesbar. Die Ausdrucksstärke in nahezu jeder Pose, auch der primitivsten, illustriert den Unterschied zwischen Model und Mimin. Models sollen der Verkleidung Wirkung verleihen, Mimen schlüpfen in eine Figur und entwickeln sie im Dialog mit Vorlage und Regisseur. Marilyn Monroe fügte dem noch etwas hinzu. Sie begründete die moderne Liaison zwischen Idol und Massenpublikum. Die später kamen, bis herauf zu Madonna, zu Nicole Kidman, zu Sharon Stone, taten und tun sich schwer, mehr als nur eine andere Version der Monroe zu sein. Der Monroe selbst aber war es gelungen, sich aus dem fast übermächtigen Vergleich mit Marlene Dietrich zu lösen. Dieses umfangreiche "Complete Last Sitting" zeigt Monroe von fast nackt bis zu ganz angezogen. Als eine Schönheit, die für heutige modische Maßstäbe fast zu dick ist. Aber um so viel attraktiver, als die befohlenen Dünnen der Showszenerie. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 3.8.2002)