Salzburg - Wenn es das Konzertkarten-Roulette bestimmt, dass man im Kleinen Festspielhaus plötzlich Geiger Maxim Vengerov neben sich sitzen hat, und er - in Ermangelung eines eigenen Programmheftes - der Dame vor ihm über die Schulter blickt, um aus ihrem Heftchen Abenddetails zu erfahren, dann borgt man ihm natürlich gerne das eigene. Und beobachtet den zurzeit global Gefeierten, der gestern auch in Salzburg spielte. Er sucht gleich die Biografie von Teresa Berganza, die er natürlich kennt. Aber eine Auffrischung kann nicht schaden, schließlich: Dass sie Triumphe feierte als Carmen, das ist ja schon ein keines Weilchen her. Natürlich hört man das zunächst. Das Forte in der Höhe lässt die Stimme rau klingen, klar, die Bandbreite des Ausdrucks ist etwas geringer geworden, zuweilen tönt es durchaus herb (Rossinis Addo ai viennesi ).

Delikate Bereiche

Auf der anderen Seite sind Legato und Pianissimo nach wie vor im Bereich des Delikaten. Und die Lust am Darstellen ist sehr heutig. Je länger der Abend dauert, desto jünger wirkt die Stimme, und erreicht sie schließlich über Manuel de Fallas Polo Carmen (mit Habanera), musste man den Eindruck gewinnen, dass sich das Ganze gelohnt hat. Nicht auszudenken, wenn auch noch Pianist Juan Antonio Alvares Perejo mehr geboten hätte als dienstbare Einförmigkeit des Ausdrucks . . .

Dieser Abend, wie große Teile des Salzburger Konzertprogramms, konfrontieren indes ein wenig sehr mit der Interpretationshistorie. Einmal freiwillig. Da sind José Carreras und Plácido Domingo mehr oder weniger im Herbst ihrer Möglichkeiten. Zum anderen unfreiwillig. Teresa Ber- ganza sang ja statt Samuel Ramey, der absagte. Und es begab sich leider auch, dass Vasselina Kasarova krankheitshalber fernblieb, die einen Hauch vokaler Gegenwart ins Programm eingebracht hätte (mit Argerichs Fernbleiben halten wir bei drei Absagen). Einspringer Roberto Scandiuzzi, sensibel begleitet von Friedrich Haider, ist zweifellos auch Operngegenwart.

Um die voll tönenden tiefen Lagen und ein durchdringendes Forte, das auch im hohen Bereich nicht an Präsenz verliert, positioniert er allerdings an diesem Abend wenig Ausdrucksfarben. Was Wunder, dass ihm das Expressive, gestisch Opernhafte (etwa bei Tschaikowskys Serenada Don-Zhuana) am effektvollsten gelingt, während der Versuch, zarte Pianomomente einzubringen, zwar nicht misslingt - aber das Leise bleibt ohne Strahlkraft.

Übrigens wird in jedem Salzburger Programmheft nach wie vor US-Sponsor Alberto Vilar gedankt. In den Dank mit einbezogen ist auch dessen mündliche Zusage, für die Renovierung des Kleinen Festspielhauses zu spenden. Möge dies helfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.8.2002)