Washington/Peking/Taipeh - Die Volksrepublik China verfolgt nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums eine gezielte Politik der Einschüchterung, um Taiwan zur Wiedervereinigung mit dem Festland zu bringen. Ein Pentagon-Bericht, der im Juli dem US-Kongress unterbreitet wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass Peking wachsenden Druck auf die Insel ausübe, um sie in die Knie zu zwingen, statt einen offenen militärischen Schlagabtausch zu suchen. Die Volksrepublik stelle mehr und mehr Mittelstreckenraketen an der Straße von Formosa (Taiwan-Straße) auf; Ziel sei es, die Zahl bis 2005 von derzeit 300 bis 350 auf 600 zu erhöhen. Das Land kaufe U-Boote, mit denen eine Seeblockade durchgesetzt werden könnte, und verbessere seine militärischen Kommunikationssysteme. Durch den Ankauf russischer Raketenzerstörer wäre Peking in der Lage, Flugzeugträger und andere Kriegsschiffe der USA davon abzuhalten, Taiwan zu Hilfe zu kommen, heißt es in dem Pentagon-Bericht. Trotz Anerkennung des China-Alleinvertretungsanspruchs Pekings sind die USA der wichtigste Rüstungslieferant und Handelspartner Taiwans geblieben. Die Volksrepublik hat die USA davor gewarnt, Taiwan mit einem Raketenschutzschirm auszustatten. 1979 entzogen die USA der Republik China (Taiwan) die diplomatische Anerkennung und übertrugen sie auf die kommunistische Volksrepublik. Mit dem "Taiwan Relations Act" von 1979 hatten sich die USA gleichzeitig zum Beistand für den Fall eines kommunistischen Angriffs auf die Insel verpflichtet. Bei seinem offiziellen Besuch in der Volksrepublik hatte US-Präsident George W. Bush im Februar seine Zusage bekräftigt, der Insel bei der Verteidigung gegen Angriffe vom Festland zu helfen. Unter Bill Clinton, dem Vorgänger von Präsident Bush, war das Pentagon zu dem Schluss gekommen, dass Peking mit konventionellen Mitteln Taiwan nichts anhaben könne. 1996 hatte die Clinton-Regierung Flugzeugträger entsandt, als die Chinesen Raketen in der Straße von Formosa abgefeuert hatten. "Die Vorbereitung auf einen möglichen Konflikt in der Straße von Taiwan ist der erste Beweggrund für eine Modernisierung der chinesischen Armee", heißt es in der Pentagon-Studie "Die militärische Macht der Volksrepublik China". Der Militärhaushalt Pekings wird auf knapp 66 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die Summe liege damit beim Dreifachen der offiziellen Angaben. Bis 2020 könnten sich die Militärausgaben Pekings noch einmal vervierfachen. Die militärischen Anstrengungen richteten sich dabei "mehr und mehr auf die USA als Feind", hieß es in dem Bericht. Peking reagiert in der Regel allergisch auf alle Bekundungen taiwanesischer Eigenstaatlichkeit. In dieser Hinsicht hat sich die Situation seit den im März 2000 stattgefundenen taiwanesischen Wahlen weiter verschärft, da dabei die Nationalpartei (Kuomintang), die an der Einheit Chinas festgehalten hat, durch die für eine Unabhängigkeit Taiwans eintretende "Demokratische Fortschrittspartei" abgelöst worden war. Dennoch ist ungeachtet martialischer Drohgebärden der Volksrepublik ein Waffengang über die Meeresstraße hinweg nicht wahrscheinlich. Peking scheint jedenfalls auf den Faktor Zeit zu setzen und dürfte auch damit spekulieren, dass Taiwan durch seine augenblicklichen innen- und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten zunehmend unter Druck gerät. In der Pekinger Führung hegt man den Argwohn, dass andere Mächte es nicht ungern sehen würde, wenn sich Peking und Taiwan in einer lang dauernden militärischen Auseinandersetzung wechselseitig abnützen würden. Aus dieser Einschätzung heraus zielt das laufende militärische Modernisierungsprogramm Pekings wohl weniger auf die Eroberung der Inselprovinz als vielmehr auf den Aufbau eines Abschreckungsdispositivs ab, das Taipeh in seinen Verselbstständigungsgelüsten behindern soll, wie die Zeitschrift "Security Dialogue" schreibt. Sollte es allerdings zu einem politischen Umbruch und einem damit in Verbindung stehenden wirtschaftlichen Chaos in Festlandchina kommen, würden diese Annahmen vermutlich in dieser Form nicht zu halten sein. (APA)