Die Mahnung ereilt Tony Blair
aus den eigenen Reihen, und
sie klingt so dramatisch, dass
sie das Kabinett noch in arge
Bedrängnis bringen kann. "Ich
beschwöre Sie, lassen Sie das
Parlament über die Sache reden", schrieb der Labour-Abgeordnete Tam Dalyell am
Montag in einem offenen Brief
an seinen Premier. "Das ist die
wichtigste Entscheidung, die
wir in unserem politischen
Leben zu treffen haben." Die Sache, das ist der eventuelle Krieg gegen den Irak.
Alle Anzeichen deuten darauf
hin, dass Großbritannien bei
einem Waffengang gegen Saddam Hussein mitmacht, so wie
es im vergangenen Herbst an
der Seite der USA Raketenschläge gegen die Taliban
führte. Nur hat sich der Wind
seitdem gedreht. Cruise Mis_siles auf Kabul? Das befanden
vor zehn Monaten, unter dem
Eindruck des 11. September,
noch drei Viertel der Briten für
richtig. Cruise Missiles auf
Bagdad? Das lehnen, sofern
man den Umfragen im Sommerloch glauben darf, zwei
Drittel ab.
Bestärkt von der kritischen
Stimmung im Land, mahnen
Politiker wie Tam Dalyell, der
weißhaarige Veteran des Unterhauses, eine gründliche
Debatte über das Für und Wider an. Auf keinen Fall, warnt
Dalyell, dürfe Blair allein über
die Entsendung von Truppen
entscheiden. Spätestens Anfang September müsse das
House of Commons aus der eigentlich bis Oktober dauernden Sommerpause zurückgerufen werden.
Kurs aufs Mittelmeer
Was bei dem Parlamentsältesten ("Father of the House")
gerade jetzt die Alarmglocken
läuten lässt, ist nicht nur die
Rechtslage, nach der Blair allein, ohne Beschluss der
Volksvertreter, einen Krieg
erklären kann. Für Unruhe
sorgen auch die Befehle der
Admiralität. Der gerade mit
Millionenaufwand modernisierte Flugzeugträger "Royal
Ark", so wurde am Montag bekannt, nimmt demnächst Kurs
aufs Mittelmeer. Dass er von
dort aus durch den Suezkanal
schnell in den Persischen Golf
beordert werden kann, erschließt sich schon beim
flüchtigen Blick in den Atlas.
Tagung vor September
Im September, glauben Experten, könnte die "Royal Ark"
in der Nähe Kuwaits kreuzen.
Bis dahin, fordern die Mahner,
muss das Unterhaus unbedingt tagen. Andernfalls, falls
bereits vollendete Tatsachen
geschaffen sind, sieht es so
aus, als ramme die Politik den
Soldaten mitten in der
Schlacht einen Dolch in den
Rücken.
Hatten vor dem Afghanistan-Feldzug nur einige Labour-Linke protestiert, so ziehen die Bedenken diesmal viel
weitere Kreise. Lord Bramall,
ein früherer Generalstabschef,
vergleicht den Fall Irak mit der
Suezkrise von 1956, als sich
London überstürzt auf einen
Angriff auf Nassers Ägypten
einließ - ein Fehler, den die
damalige Regierung mit dem
Rücktritt bezahlte. 46 Jahre
später riskiere Premier Tony
Blair, in einen "sehr, sehr
chaotischen" Krieg zu schlittern, warnt der General. Wer
losschlage, müsse vorher die
Folgen berechnen: Klettert der
Ölpreis in unermessliche Höhen? Explodiert das Pulverfass Saudi-Arabien?
Selbst aus der konservativen Opposition, sonst stets auf
den engen Schulterschluss
mit Amerika bedacht, kommen nachdenkliche Stimmen.
Patrick Mercer, der für die
Torys im Verteidigungsausschuss des Parlaments sitzt,
warnt vor einem "Krieg mit
Tarnkappe". Blair, fürchtet er,
könnte auf eigene Faust handeln, ohne dass ausführlich
genug über Pro und Kontra gesprochen werde.
Büchse der Pandora
Dass dem Premier selbst
auch nicht ganz wohl bei dem
Gedanken an Bomben auf
Bagdad ist, weiß man vom jordanischen König Abdullah.
Der hatte vor einer Woche mit
Blair in London parliert und
kurz darauf in Washington erklärt, der Brite sei sehr besorgt: Wer die Büchse der
Pandora öffne, drohe den ganzen Nahen Osten in Flammen
zu setzen. Die Reaktion der
Downing Street fiel erwartet
einsilbig aus: "No comment",
"kein Kommentar". (DER STANDARD, Printausgabe, 6.8.2002)