Robert Gernhardt, der heurige Gastdichter der Salzburger Festspiele, zeichnet wie Wilhelm Busch und liebt Parodie wie Poesie. In seiner am Donnerstag startenden Reihe lässt er den "Jedermann" von Jacques Offenbach bearbeiten. Davor ein Interview mit Richard Reichensperger. Salzburg - Naturgemäß regnete es Schusterbuben, als wir uns in Salzburg trafen, aber der gerade aus "seiner" Toskana (eine Belohnung für ein jahrzehntelanges Smogleben in Frankfurt am Main) eingetroffene Robert Gernhardt meinte lapidar: "Ich brauche jetzt einen trockenen Wein."
Pointiert wie seine Gedichte, die - teilweise auch im Repertoire von Otto Waalkes - zum Massenerfolg wurden: gereimt, denn "Komik braucht den Regelverstoß und deshalb Regeln".
Ähnlich erfolgreich waren schon vor Jahrzehnten auch die "Bildgeschichten", die der 1937 in Reval (Estland) geborene und in Berlin zum Grafiker ausgebildete Robert Gernhardt für die Satirezeitschrift
Pardon
und später für Enzensbergers
Titanic
, für
Die Zeit
und das
FAZ
-Magazin kritzelte. Das große Vorbild: Wilhelm Busch, dessen "herzlos gehämmerte Zweckmäßigkeit" er lobte. Und in dessen Geist und auch im Protest gegen Adornos humorfreie "Frankfurter Schule" sich um Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, F. K. Waechter und F. W. Bernstein - allesamt Dichter und Zeichner - die "Zweite Frankfurter Schule" formierte.
Jetzt aber wird es ernst, denn jetzt schwebt über Gernhardts Festspielprogramm bis zum Samstag das Richtschwert eines eigenen Verses: "Der Künstler geht auf dünnem Eis./ Erschafft er Kunst? Baut er nur Scheiß?" - Vorbeugend ein Gespräch über Programme, Parodien, über Hugo von Hofmannsthal und den Kuckuck:
STANDARD: Sie parodierten einmal ein berühmtes Hofmannsthal-Gedicht und gleich auch seinen Namen - "nach Kuno von Hofmannsthal". - Jetzt sitzen Sie in seinem Festspiel-Salzburg. Wie ziehen Sie sich aus der Affäre?
Gernhardt: Ich war sozusagen schon einmal im Vorprogramm, als Hans-Magnus Enzensberger vor drei Jahren diese Reihe
Dichter zu Gast programmierte. Und jetzt hat mir mein Kollege und Freund Martin Mosebach geholfen, besonders für den zweiten Abend: Da lasse ich Hofmannsthal auf der Wolke eine eigene
Jedermann-Modernisierung dem Jacques Offenbach vorlegen, der das musikalisch unterlegt. Leider waren diese "Musiquettes" sehr schwer zu bekommen, es gibt nichts auf CD und wenig auf Noten. Die Berliner Hans-Eisler-Musikhochschule sprang bei und wird hier also den
Jedermann singen.
Für den dritten Abend wählte ich jüngere Lyriker mit einem eigenen Tonfall - außerhalb des Epochen-Sounds, wo alles gleich klingt -, Dichter(innen), die ich selbst schon immer hören wollte. Und den ersten muss ich selbst bestreiten. Und ich werde immer eine Einleitung sprechen.
STANDARD: Sie lassen Hofmannsthal zu den Jedermann-Modernisierungen sagen: "Doch was ich so hörte und sah all die Jahr/ Mit Vergunst nit das Gelbe vom Jeder-Ei war": Liegt in solcher Parodie seiner Sprechweise nicht doch auch die Hochschätzung vor einem ausgeprägten Individualstil?
Gernhardt: Oft ist es auch eine Hommage, ja. Manchmal stören einen aber Manierismen. Zum Beispiel: In einer Hemingway-Parodie zitierte ich einmal aus der Übersetzung von Annemarie Horschitz-Horst, wo auf die Frage: "Wo hast du den Hut her?" geantwortet wird mit: "Freund gekauft" - so etwas kann einem ganz schön auf die Nerven gehen.
STANDARD: Sie sind ja ein großer Stimmenimitator, der die Tradition von Dante über Heine bis in die Gegenwart sich anverwandeln kann. Einmal schreiben Sie über den Kuckuck, der im fremden Nest durch Imitation Erfolg hat. Ist das auch Ihre eigene Poetik der Parodie?
Gernhardt: Nein, Parodien sind auch nicht der Hauptzweig meines Schreibens. Aber der Kuckuck - also, der Alte kann dann ja gar nichts mehr, das klingt ja fürchterlich eintönig. In der Toskana kommt dazu noch der Wiedehopf mit seinem ewigen "püttpütt, püttpütt, püttpütt!". Wenn es dort nicht noch Zaunkönige und Mönchsgrasmücken gäbe, wäre das schrecklich melancholisch.
Der junge Kuckuck aber ist phänomenal: Er schafft es, für mehrere, die er aus dem Nest bugsiert hat, zu schreien, er muss ja schließlich auch viel mehr fressen. Er vollbringt oft ein Quartett, ohne vorher die Originalstimmen gehört zu haben, die hat er verdrängt. Wenn er erwachsen ist, kann er aber nur noch "Kuckuck", das ist verdammt wenig.
STANDARD:
In den kommenden Salzburger Abenden werden Sie auch viel Musik einsetzen. Nicht aber Malerei, die doch ein wesentliches Element Ihres Werkes ist.
Gernhardt:
Im
Zeichnen habe ich jetzt stilistisch fast alles ausprobiert. Im Schreiben noch nicht.
STANDARD:
Ein persönlicher "favourite" bleibt dennoch eine Bildfolge, wo Sie den Text eines großen Vorgängers visualisieren: Zum berühmten Benn-Gedicht "Einsamer nie als im August" zeichnen Sie einen Frosch und, als Parallelhandlung, ein Liebespaar. Den Frosch konterkariert dabei das Bennsche "Gegenglück", der Geist: Er schnappt sich eine Fliege. Wie kamen Sie hier auf den Einfall mit dem Frosch?
Gernhardt
: Ich glaube, ich habe an Benn gedacht. Weil der auch so ein Frosch ist, seine Lider, Wangenbacken und so. Und wenn ein junges Mädchen vorbeikommt, macht die Zunge "Flutsch!" - Das Gegenglück. So war er ja auch, in seinem Briefwechsel mit der jungen Ziebarth oder mit Astrid Claes. Nur wir - uns bleibt als Gegenglück bloß der Geist. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.8.2002)