Wirtschaftspolitik
Meinungen über Zinssenkung in USA gehen auseinander
"Japanische Verhältnisse" sollen sich nicht wiederholen
Frankfurt - Die Meinungen von Aktienstrategen zu einer
möglichen Zinssenkung in den USA noch in diesem Jahr gehen weit
auseinander. Skeptiker begründen ihre Haltung mit dem Zustand der
US-Wirtschaft. Diese befinde sich noch immer auf Wachstumskurs, auch
wenn sich das Tempo der Erholung in den zurückliegenden Wochen
verlangsamt habe. "Alan Greenspan wird sein Pulver nicht so leicht
verschießen", sagt Christian Stocker von HVB Equity Research. Selbst bei einem nun allenthalben befürchteten "double dip", also
einem erneuten Konjunkturabschwung, erwartet Stocker frühestens im
ersten Quartal 2003 sinkende Leitzinsen in den USA. Befürworter niedrigerer Zinsen verweisen in erster Linie auf die
anhaltend schwachen Aktienmärkte. "Der allgemeine Kursverfall ist
schlecht für die Stimmung und schlecht für die Realwirtschaft", meint
Günter Diehlmann von Gebser & Partner.
Zinssenkung um 25 Basispunkte
Er rechnet daher mit einer Zinssenkung um 25 Basispunkte noch in
diesem Jahr. Seine Begründung: Zuerst hätten die Verbraucher in den
USA starke Verluste an den Aktienmärkten hinnehmen müssen, zudem sei
möglicherweise eine Immobilienblase entstanden, die demnächst platzen
könne. Letzteres wiege umso schwerer, da Immobilien 60 Prozent des
Privatvermögens von US-Haushalten ausmachten, Aktien hingegen nur 30
Prozent.
Einer Zinssenkung räumt aber auch Diehlmann überwiegend
psychologische Effekte ein. Angesichts des bereits niedrigen
Zinsniveaus dürften sich die realwirtschaftlichen Impulse in Grenzen
halten, argumentiert er. "Ob die Fed Funds Rate nun 1,75 Prozent oder
1,50 Prozent beträgt, der Unterschied wird keinen Unternehmer
plötzlich zu einer Investition bewegen." Die US-Wirtschaft,
Investoren und Verbraucher benötigten nach den enttäuschenden
Frühindikatoren nun vielmehr ein psychologisches Signal.
Einpreisung
Er fügt hinzu, dass an den Aktienmärkten derzeit eine Zinssenkung
noch in diesem Jahr eingepreist werde. Ähnliches gilt auch für den
Geldmarkt, wo die EONIA-Forward-Rates mit 50-prozentiger
Wahrscheinlichkeit eine Senkung der EZB-Leitzinsen um 25 Basispunkte
in den kommenden sechs Monaten eskompiert haben. Beobachter sind sich
allerdings einig, dass dieser Trend rasch drehen könne.
Zinssenkungsfantasien dürften sich dann ebenso schnell verflüchtigen
wie sie sich in den vergangenen Wochen in den Terminsätzen
niedergeschlagen haben.
Ein weiterer Grund für Zinssenkungen stellen Deflationsängste dar.
Hier sind sich die Strategen einig: Die US-Notenbank werde in jedem
Fall inflationäre Tendenzen einem allgemeinen Preisverfall vorziehen,
heißt es. Derzeit beträgt die Inflationsrate in den USA 2,2 Prozent -
"für die US-Notenbank kein Signal für steigende Zinsen", sagt
Stocker. Bei den Aktien und Anlagegütern sei der Preisverfall dagegen
offensichtlich. Dies belaste vor allem die Gewinne von
Investitionsgüterherstellern.
Angesichts der großen Liquidität sei aber nicht damit zu rechnen,
dass sich die viel zitierten "japanischen Verhältnisse" in den USA
wiederholten. Faktor- und Gütermärkte dürften flexibel reagieren und
angesichts der großen Liquidität rasch gegen deflationäre Tendenzen
steuern. Zudem sollten sich die Börsen wieder erholen und damit den
Preisverfall stoppen, heißt es. "Zwar muss man mit Blick auf die
weiter hohe Volatilität mit Prognosen vorsichtig sein, aber wir
erwarten parallel mit den US-Aktienmärkten eine Bodenbildung im DAX
bei 3.000 bis 3.200 Punkten", sagt Stocker. (APA/vwd)