Die schwarz-blaue Regierung hat durchaus Kontinuität geschaffen. Weniger als Macher, sondern viel mehr als Murkser. Die von gravierenden Mängeln begleitete Einführung der Ambulanzgebühren ist nur ein Beispiel. Der drohende Flop bei der Abfertigung neu ist das jüngste Exempel einer ganzen Reihe von Gesetzen, wo die mangelhafte Umsetzung die positive Absicht überdeckt. Und wo der Sinn der Reform der Wut der Betroffenen weicht.Im Sozialbereich bestand unbezweifelter Reformbedarf. Denn vieles wurde von den Spitzengremien zwar früher schon beschlossen, aber nie umgesetzt oder verhaut wie die EDV-Einführung der Gebietskrankenkassen. Die Schwarz-Blauen zogen sowohl rhetorisch als auch praktisch die Konsequenzen. Sie traten als die großen Sanierer an, drohen jedoch zu enden wie jene, die von ihnen (vor allem von Jörg Haider) als Geldvernichter gebrandmarkt wurden. Reinhart Gaugg ist das Fleisch gewordene Symbol für eine Reform, die in Umfärbung und Kostenzuwachs mündet. Zwing Rot hinaus und Blau hinein. Jetzt die Abfertigungen. Wie DER STANDARD exklusiv berichtete, fehlen den Unternehmen immer noch die Entscheidungsgrundlagen für die notwendigen Betriebsvereinbarungen. In fünf Monaten aber sollen schon die neuen Beitragszahlungen fließen. Was man auf Regierungsseite offenbar nicht kalkuliert, ist die damit verbundene Verunsicherung der Wirtschaft. Die Moral ist ohnehin am Boden wie bei einer Fußballmannschaft, der durch schlechtes Management die Siege vermasselt werden. Psychologische Stützen wären daher besser als ein drohender "bürokratischer GAU" (der Hotelier Helmut Peter). Die Diskussion um die Steuerreform passt in dieses Bild. Ursprünglich hatten sich FPÖ und ÖVP die Sache ganz einfach vorgestellt. Die Konjunktur werde weitergehen, und im Verein mit dem Kindergeld würde eine Steuerreform für den (vorher geschröpften) Mittelstand die Wahl gewinnen helfen. Die anhaltende Rezession spaltet das Regierungslager: Auf der einen Seite die Realisten, die sich bloß kleinere Korrekturen vorstellen können, auf der anderen die Opportunisten, die auch ein massives Budgetdefizit in Kauf nehmen und auf Vergessen hoffen. Waren es nicht gerade sie, die der rot-schwarzen Koalition genau deshalb den Hang zum Staatsbankrott unterstellt hatten? Nicht nur Wirtschaft und Industrie, die sich von dieser Regierung einen Systemwechsel erhofft hatten, geraten in Erklärungsnotstand. Denn die Wende findet anderswo statt, bei der Einschränkung der Bürgerrechte. Argumentationsprobleme hat zunehmend die Regierung selbst, weil sich Jörg Haider wie eine Partei benimmt, die zwar keine Mandate hat, aber mehr Macht als alle FPÖ-Abgeordneten zusammen. Statt mit Arbeit vergehen Tage und Wochen mit der Abwehr der Ratschläge aus Klagenfurt. Das überraschende Ergebnis des Volksbegehrens gegen den Eurofighter verschärft den wirtschaftspolitischen Richtungsstreit in der Koalition und in der FPÖ selbst. Haider will vom Nationalrat eine Pensionsgarantie beschließen lassen und dann erst den Kauf der Abfangjäger fixiert wissen. Geht nicht, sagen ihm selbst die eigenen Haupt-Leute. Das wird den Populisten nicht schrecken. Denn das gehört zum Wesen des Populismus: Gesetze zu missachten, Beschlüsse umzustoßen, wenn Umfragen oder gar Volksbegehren was anderes ergeben. Die ÖVP versucht, in einem kleinen Zwischenwahlkampf ihren kühlen Kanzler in warmen Farben darzustellen. Dem Wolfgang Schüssel wird noch wärmer werden, als ihm lieb ist. Wenn er vor lauter Haider-Geheimplänen und Westenthaler-Watsch'n nicht mehr weiß: Bin ich Bergsteiger oder Klavierspieler? Vielleicht schon im Herbst steigt der Vorwahlkampf, denn was soll der Regierung überhaupt noch Geordnetes einfallen? Sind doch Murks und Chaos die Dominanten ihrer momentanen Praxis. (DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2002)