Erfurt - Fast alle tun es, zumeist im Bett, seltener im Auto, manche sogar im Büro: Das Träumen, die luftig-lockere Folge von oft bizarren, zusammenhanglosen Bildern, scheint nicht so ganz den Gesetzen unseres strukturierten, Ziel orientierten Denkens zu folgen. Doch das Träumen ist kein passiver Vorgang, sondern eine rätselvolle geistige Aktivität. "Während des Träumens ist unser Gehirn keineswegs abgeschaltet", sagte der Neuropsychologe Hartmut Schulz. Seit 50 Jahren intensiver Forschung auf diesem Gebiet weiß man, dass vor allem in den Phasen des so genannten REM-Schlafes intensiv geträumt wird. Diese Phasen laufen nachts im Abstand von anderthalb bis zwei Stunden ab, wobei der typische Schlaftraum etwa zehn bis 20 Minuten dauert. Aktives Großhirn "Neurophysiologische Untersuchungen ergaben, dass das Großhirn dabei genauso aktiv ist wie im Wachen", erläuterte der Professor, der das Neurologische Schlaflabor der Erfurter Heliosklinik leitet. "Beim Träumen wird also richtig gedacht, nur auf eine andere Art. Was weg fällt, sind diese Kontrollen, die wir tagsüber in unserem Denken haben. So kann es passieren, dass Dinge auftauchen, die nicht zusammengehören. Dennoch sind wir vom hohen Realitätsbezug dieser sehr konkret-bildhaften Abläufe überzeugt." Während das Großhirn in diesen Phasen des Traumzustandes hoch aktiv ist, kann das von unserer Motorik nicht gesagt werden. Diese ist zum Glück komplett blockiert, wenn wir träumen. Schulz kennt Beispiele von Patienten, bei denen die Motorik nicht abgeschaltet ist. Sie schlagen im Traum um sich, attackieren die Partnerin oder springen aus dem Bett und verletzen sich dabei. "An diesem Naturmodell kann man sehen, was passieren würde, wenn wir alle unsere Träume in die Tat umsetzen würden", meint Schulz. "Fragt man diese Patienten, so können sie minutiös erzählen, wie sie angegriffen wurden und dass sie sich wehren mussten." Funktion ungeklärt Welche Funktion die Träume haben, hat die Wissenschaft bis heute noch nicht klären können. Niemand weiß, warum die Menschen, aber auch die Säugetiere in diesen REM-Schlaf-Zustand kommen. Nachgewiesen werden konnte, dass Säugetiere die gleichen Hirnzustände wie die Menschen haben. Sie könnten also möglicherweise ebenso in Bildern träumen. Um das herauszufinden, fehlt es nur noch an der Kommunikation mit den Katzen oder den Walfischen. Schlafforscher warten mit einer Reihe von Hypothesen zum Träumen auf. Einige gehen davon aus, dass Emotionen, die wir tagsüber erlebt haben, nachts sortiert und geordnet eingebaut werden müssen. Andere meinen, dass Lernprozesse ohne Träume nicht auskommen. "Vieles spricht dafür, dass Gedächtnisvorgänge im Schlaf ablaufen", sagte der Neuropsychologe. Doch der Traum ist schwer fassbar und kann erst nachträglich erzählt werden. Nach Ansicht des Professors kann die tiefere Beschäftigung mit den Vorgängen rund um das Träumen ein Thema der Neurowissenschaften für die nächsten 50 Jahre werden. "Träume wurden früher als symbolische Handlungen und Prozesse verstanden. Man hat sie therapeutisch eingesetzt und in der Psychoanalyse spielen sie eine große Rolle. Aber wir sind letztendlich noch immer ohne ein tiefes Verständnis der Funktion des Traumes", resümiert Schulz. (APA/AP)