Ronald hat sie schon, aber er hat sie noch nicht angehört, weil man "so ein gewaltiges Werk wohlvorbereitet angehen muss". Georg hat sie noch nicht, "aber man muss sie haben, oder?" Anita will sie nicht, aber ihr Mann hat sie schon gekauft: Die Rede ist vom neuen Album des "Boss" - "The Rising", wo sich alle Welt jetzt fragt, ob man über den 11. September schon musikalisch relevante Statements abgeben kann oder ob Bruce Springsteen ein Werk abgeliefert hat, das man in seiner vollen Bedeutung erst ermessen wird können, wenn quasi der aktuelle Bezug nicht mehr im Vordergrund steht.Zu all dem kann ich jetzt überhaupt nichts beitragen, außer: Es tanzt und rockt keiner wie der "Boss" - und das belegen nicht nur erste TV-Aufnahmen von seiner aktuellen Tournee, sondern auch das unvergessliche Video zu "Dancing in the Dark". Springsteens Bewegungen (zwischen stampfendem Schlenderschritt und brutal rotierenden Schultern) versetzen hier ein Mädchen im Publikum in Ekstase. Der Boss - stampf, stampf - zeigt immer wieder mit dem Finger auf sie hin: Mit dir würd' ich im Dunkel gern tanzen. No na: Sie tanzen am Ende gemeinsam im Scheinwerferlicht; Jubel im Publikum; stampf, stampf. Immer wenn ich dieses Video sehe, bin ich sehr gerührt. Unfassbar, was man in den 80er-Jahren an Gestampfe geboten bekam! Das ist eigentlich noch gar nicht richtig aufgearbeitet! Tatsächlich werden wir also auch The Rising erst in vielen Jahren richtig einschätzen können. Bis dahin höre ich mir die neue "Red Hot Chilli Peppers" an. (cp/DER STANDARD; Printausgabe, 10./11.8.2002)