Es geht mit den Dichtern in Österreich wie in Bremen mit Cigarren. Die in Bremen gemachten Cigarren werden nach Amerika geschickt, dort bekommen sie die ausländische Signatur, u. wandern dann wieder heim, u. Alles wundert sich über den charmanten Geruch, den sie jezt haben, während sie früher keinem Teufel schmecken wollten." Das schreibt Nikolaus Lenau 1833 nach seinem amerikanischen Jahr, während dessen er in der literarischen Welt zu Hause zum Begriff geworden war.Amerika hat ihn enttäuscht: Von der Natur, von der Begegnung mit den Ureinwohnern hatte Lenau sich gewaltige Eindrücke erhofft, vom Erlebnis des fremden Kontinents Heilung seines zerrissenen Gemüts. Die Indianer der Niagarafälle offenbarten sich jedoch als Pioniere des Tourismus, und die Wildnis erschien Lenau ohne das Lied der Nachtigall steril. Sein Englisch war neuen Kontakten nicht förderlich: Mit einer amerikanischen Reisebekanntschaft sprach er Lateinisch. Auch zum Siedler taugte er nicht, er verpachtete den neu erworbenen Grund und kehrte nach Stuttgart zurück. Lenaus Bekanntschaft mit Gustav Schwab hatte ihm die Tore zum schwäbischen Dichterkreis und zum Goethe-Verleger Cotta geöffnet. Lenaus Bücher verkauften sich gut, seine Gedichte brachten es insgesamt auf zwölf Auflagen, in puncto Honorar zog er mit dem vielgelesenen Ludwig Uhland gleich. Und der romantische Dichter des Weltschmerzes war darauf durchaus stolz: "Am Ende spricht sich die Kritik über ein Buch am entscheidensten und vollgültigsten doch in dessen merkantilischem Schicksale aus": Von Goethes Gedichtbänden setze Cotta jährlich nur 40 ab, was beweise, dass die "neuere Lyrik" "entwickelter und befriedigender" sei. Und wie sieht die Einschätzung heute aus? In seiner Biographie - der ersten "richtigen" des Dichters - drückt Michael Ritter sich ein wenig um diese Frage. So minutiös die Quellen recherchiert sind, so erschöpfend die Forschung ausgewertet wird, Lenaus Größe als Dichter wird nicht so recht klar. Vielleicht liegt es an der Auswahl der zitierten Gedichte - die "Schilflieder" oder "Die drei Zigeuner" sind, wohl zu banal für Lenaurianer, nicht dabei. Vielleicht liegt es an der nicht nur professionellen Distanz des Biographen, der sein Hauptaugenmerk auf Lenaus seelensymbolische Naturauffassung legt: Die Musikalität, die kühne Bildlichkeit, die heillos schöne Traurigkeit, der Stimmungszauber kommen dabei zu kurz: "Hirsche wandeln dort am Hügel,/blicken in die Nacht empor;/manchmal regt sich das Geflügel/träumerisch im tiefen Rohr." Vielleicht liegt es aber auch am Dichter selbst - sein völlig unironisches Werk kommt dem Leser des 21. Jahrhunderts weniger entgegen als etwa das Heines (von dem Lenau im übrigen wenig hielt). Zuweilen befleißigt sich der Biograph einer gewissen Redundanz und Umständlichkeit, die man altertümlich nennen könnte, drückte sein Gegenstand sich nicht wesentlich unverblümter aus. Höchst anschaulich indes macht Ritter den Lebemann und Gesellschaftsmenschen Lenau, der, im Praktischen wenig begabt, sich doch als tüchtiger Stratege des Literaturbetriebs erwies. Dieser Franz Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau, der sein Pseudonym aus einer radikalen Namenskürzung gewann, war ein Snob und Naturbursch, ein schlechter Reiter und guter Billardspieler (Partner von Ferdinand Raimund), ein vorzüglicher Geiger, der eine Guarneri besaß, ein ausdauernder Wanderer und verstockter Stubenhocker, ein Mann mit großem Talent zur Freundschaft und phasenweiser Menschenscheu, mit beachtlicher Wirkung auf Frauen und krankhafter Bindungsangst. Obwohl von niedrigstem und allerjüngstem Adel (er wurde dem Großvater als k.u.k. Offizier erst 1820 verliehen), lebte er auf großem Fuß. Geboren in Csatád im Banat, wo sein Vater, ein Taugenichts und Spieler, gerade Dienst tat, wuchs Lenau in Ungarn auf, lernte Ungarisch und schrieb zeitlebens auf deutsch, wiewohl er gern den "Ungarn" herauskehrte. Nach häufigem Studienwechsel - Philosophie, Landwirtschaft, Jus, Medizin - wurde Wien zum Lebensmittelpunkt des Unsteten. Allein zwischen 1833 bis 1837 reiste er elf Mal nach Stuttgart: mit der Postkutsche. Auch diese Realia des Alltagslebens im Vormärz rücken ins Bild, wie das kulturelle Leben (von Justinus Kerner über Karoline Pichler bis zu Robert Schumann, der Lenaus Verse vertonte) und die Politik: Anders als sein revolutionärer Dichter-Freund Anastasius Grün alias Anton Graf von Auersperg, verstand Lenau sich nicht als politischer Autor und geriet doch in die Fänge der Zensur, deren Beamte er als "legalisierte Bestien" qualifizierte, als "boshaft gierige alles geistige Leben benagende Freßwerkzeuge". Lenaus "unselige Schwermuth" (Grillparzer) war keine literarische Pose. In einem Brief sagt der 29jährige: "ich bin kein Ascet; aber ich möchte gerne im Grabe liegen. (...) Mir wird oft schwer, als ob ich einen Todten in mir herumtrüge." Die Zeit des Herbstes ist Lenaus Jahreszeit: "Wie der Wind zu Herbsteszeit/mordend hinsaust in den Wäldern,/weht mir die Vergangenheit/von des Glückes Stoppelfeldern." Auslöser für das Manifestwerden der Geisteskrankheit im Jahre 1844 war wohl ein schwerer innerer Konflikt: zwischen der langjährigen, halbkeuschen Beziehung zur verheirateten Sophie von Löwenthal und konkreten Heiratsplänen. Lenau starb 1850, wie es altertümlich so schön heißt, "in geistiger Umnachtung" - in der Heilanstalt Oberdöbling, dem heutigen Bezirksgericht. (Von Daniela Strigl/DER STANDARD, Printausgabe, 10.8.2002)