Kimberly Young etablierte 1995 erstmals wissenschaftlich den Begriff IAD (Internet Addiction Disorder). In den Folgejahren schrieb sie mehrere Bücher und richtete eine Onlineberatungsstelle für Betroffene ein. Die von ihr anfangs behaupteten 20 Prozent Abhängiger hat sie zuletzt auf sechs Prozent reduziert.Zu ähnlichen Ergebnissen kommen europäische Wissenschafter und Ärzte. Primar Hans D. Zimmerl - Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und seit 28 Jahren in Kalksburg tätig - verfasste 1998 die erste deutschsprachige Studie, allerdings ausschließlich im Bereich Chatrooms, und weist dabei 12,7 Prozent Abhängige nach. 1999 begann eine Gruppe rund um den Psychologen Prof. Matthias Jerusalem von der Berliner Humboldt-Universität eine breit angelegte fünfteilige Forschungsstaffel mit 10.000 Befragten. Ziel war es zu ergründen, ob Internetsucht auch bei Anwendung strenger diagnostisch-methodischer Kriterien Bestand hat. Zum anderen suchten die Forscher nach Persönlichkeitsmerkmalen, die mit dem Phänomen einhergehen. Nach Abschluss der fünften Phase im Jahr 2001 stehen nun auch langfristige Daten zur Verfügung. Die Gruppe befindet rund drei Prozent der Untersuchten als süchtig. In Österreich gibt es nach Angaben des letzten Internet-Monitors inzwischen 3,7 Millionen Benutzer; schätzt man die täglichen Benutzer auf nur ein Drittel, das ist weniger, als Gallup angibt, und nimmt die am niedrigsten angesetzte Zahl aller Studien (drei Prozent bei den Berliner Forschern), ergibt sich eine Zahl von zumindest 30.000 abhängigen Personen in Österreich. Suchtdefinition Befreit man die in der Literatur vorgeschlagenen Definitionsmerkmale von Wiederholungen und eindeutig ein-oder wechselseitigen Abhängigkeiten, so bleiben fünf Hauptgesichtspunkte: [] Einengung des Verhaltensraumes , d. h. nahezu das gesamte Zeitbudget wird mit internetbezogenen Aktivitäten verbracht. [] Kontrollverlust , d. h. Versuche, die Aktivitäten einzuschränken, scheitern, gute Vorsätze werden nicht realisiert. [] Toleranzentwicklung , d. h. die zeitliche Ausdehnung der Internetaktivitäten steigern sich bis zur völligen Einnahme der verfügbaren Zeit (steigende Dosis) [] Psychische Entzugserscheinungen , d. h. neben dem Zustand des "Sich Sehnens danach" kommt es in der Zeit ohne Internetaktivitäten zu Nervosität, Reizbarkeit und Unzufriedenheit. [] Negative Konsequenzen insbesondere in den sozialen Bereichen (Arbeit, Leistung) und Beziehungen (Arbeitgeber, Schule, Familie, Partnerschaft etc.). Zeitliche Ausdehnung alleine - bei mehr als 35 Stunden pro Woche werden Suchtforscher hellhörig - ist nur ein Merkmal der Sucht. Von einer Sucht spricht man nur dann, wenn mehrere Merkmale gleichzeitig erfüllt sind. Und auch diese Merkmale reichen noch nicht aus: Sie müssen eine extreme Ausprägung aufweisen, die sich als Abweichung von Durchschnittswerten definiert. Wer gefährdet ist Auch darauf haben die Wissenschafter eine Antwort gefunden. Unter den Süchtigen sind Jugendliche, darunter mehr Burschen als Mädchen. Personen mit geringem Sozialstatus, etwa ohne Schulabschluss, sind deutlich gefährdeter, genauso wie Arbeitslose und Teilzeitbeschäftigte. Außerdem verfallen der Sucht immer mehr Menschen, die allein und isoliert leben. (Susanne Mitterbauer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8.2002)