Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Herausforderer Edmund Stoiber stellten sich den Fragen der Chefredakteure der Süddeutschen Zeitung und der Welt. Der Text dieses Streitgesprächs wurde dem Standard als einziger österreichischer Qualitätszeitung zur Verfügung gestellt.
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Herr Bundeskanzler, können Sie mit einem Satz sagen, warum man Sie am 22. September wiederwählen soll und warum Sie gewinnen werden? Vor vier Jahren lautete der Satz: "Kohl muss weg!" Schröder: Wie werden gewinnen, weil wir eine gute Arbeit abgeliefert haben. Dass man 16 Jahre Stillstand nicht in vier Jahren aufarbeiten kann, ist klar. Das ist auch sichtbar zu machen. Das Zweite ist, das entnehme ich den Untersuchungen, die es gibt, dass die Menschen sagen, der soll es bleiben. Herr Stoiber, was ist es bei Ihnen? Was ist das bei Ihnen das Kernmotiv für die Wähler, warum Stoiber jetzt Kanzler werden soll? Stoiber: Ich möchte, dass wir die Geißel der wachsenden Arbeitslosigkeit mit Massivität bekämpfen. Das ist ein wichtiges, langfristiges Ziel. Deswegen ist mein Motto: Sozial ist, was Arbeit schafft. Ich muss alles an dieser Priorität messen lassen. Darum sind sicherlich auch Einschnitte, sicherlich auch Veränderungen im Mitbestimmungsrecht, auch Veränderungen zu Gunsten der Belegschaft vor Ort und zu Lasten der Gewerkschaftszentralen, notwendige Schritte, um ein höheres Maß an Flexibilität zu erreichen. Das ist mit Schröder nicht möglich, denn er hat in den letzten Jahren mit einer Fülle von Gesetzen den Arbeitsmarkt verriegelt und damit auch die Ursache mit geschaffen, dass wir heute eine so hohe Arbeitslosigkeit haben. Herr Schröder, wie wollen Sie den großen Rückstand, den Sie jetzt in den Umfragen haben, innerhalb von sechs Wochen noch aufholen. Mit dem Argument, wir haben eigentlich doch eine gute Arbeit gemacht? Schröder: Die Aufgabe, die wir haben, ist, die Zahlen, die es an Vertrauen und Wertschätzung für mich gibt, auf die SPD zu übertragen. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Also doch: Er oder ich? Schröder: Das wird ja zum Ende des Wahlkampfes auch gar nicht vermeidbar sein. Irgendwann kulminiert das natürlich in der Vorstellung der Personen und was ihnen für ein Vertrauensvorschuss im einzelnen gegeben wird. Das heißt ja nicht, dass das inhaltlos sein würde. Das wird so sein. Unsere Anstrengungen sind darauf gerichtet, genau das zu erreichen, klar zu machen, dass jemand, der gerne möchte, dass ich Bundeskanzler bleibe, das nur erreichen kann, wenn er SPD wählt. Das ist die Aufgabe. Wenn man die Umfragen interpretiert, wollen die Leute eigentlich eine Union-geführte Regierung unter einem Kanzler Schröder. Stoiber: Das glaube ich aber nicht. Sie dürfen eines nicht tun. Die Leute wählen ja nun Parteien und Personen, nicht eine Person alleine. Parteien und Personen, in welcher Relation will ich den Demoskopen überlassen. Aber eines ist von entscheidender Bedeutung: Sowohl der Kandidat als auch die CDU/CSU haben in den Fragen, die für das Wahlverhalten von entscheidender Bedeutung sein werden - wer bringt die Wirtschaft besser in Schwung, wer schafft mehr Arbeitsplätze - einen großen Vorsprung vor der SPD und vor Rot-Grün, hier habe ich auch in allen Umfragen die höhere Kompetenz-Zumessung als der Kanzler. Dass er beliebter ist, respektiere ich. Nur, ich will ja nicht Nachfolger von Günther Jauch werden. Schröder: Sie sollten damit nicht so oberflächlich umgehen, wie Sie das tun. Herr Stoiber. Sie unterstellen ja damit, dass die Wählerinnen und Wähler nach anderen als nach politischen Motiven entscheiden. Stoiber: Nein, das tue ich nicht. Schröder: Natürlich. Wenn Sie sagen, der wird gewählt, weil er beliebt ist. Stoiber: Habe ich doch nicht. Schröder: Klar haben Sie das unterstellt. Stoiber: Nein, nein, das haben Sie missverstanden. Ich sagte, der Wähler wählt die Kompetenz. Schröder: Dann stellen Sie das richtig und unterstellen den Wählerinnen und Wählern nicht, dass sie sich keine Vorstellung von der Frage machten, wenn sie pro oder kontra eine Person votieren, was der an Führungskraft aufbringt. Das ist das, wonach gemessen wird. Ich finde, Ihr Versuch, sozusagen den Wählern zu unterstellen, dass sie oberflächliche Motive bei ihrer personalen Wahlentscheidung zum Ausdruck brächten, das ist eine Beleidigung. Stoiber: Das stimmt doch nicht. Schröder: Das ist eine schlichte Beleidigung der politischen Sensibilität und des politischen Urteilsvermögens der Wählerinnen und Wähler. Das sollten Sie mal schnell lassen. Das ist ein guter Rat. Sonst fallen Sie persönlich immer noch weiter zurück. Stoiber: Herr Schröder, ich glaube, dass die Menschen ihre Wahlentscheidung nicht nach der Beliebtheit, sondern entscheidend nach der Kompetenz zur Lösung der Probleme treffen. Schröder: Nach der Führungskraft, das ist Ausdruck für das Maß an Vertrauen. Stoiber: Entscheidend ist die Frage der Lösungskompetenz, was die Wirtschafts- und die Arbeitsmarktpolitik angeht. Nur das habe ich gesagt. Sie können die Beliebtheit ? Schröder: Die Menschen urteilen doch nicht so, wie Sie es gerne darstellen. Die Menschen urteilen bei politischen Führungspersonen danach, wer kann dieses Land in der nächsten Legislaturperiode führen. Stoiber: Da liegen Sie hinten mit der SPD. Gemach, gemach meine Herren. Gemach! Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, Ihre persönlichen Sympathiewerte seien so viel besser als die der Partei, sind Sie dann unzufrieden mit der SPD? Schröder: Nein, überhaupt nicht. Ich bin der Letzte nicht unzufrieden mit der SPD, was sie schafft. Überhaupt nicht. Ich bin der Letzte, der Grund hat dazu. Es hat selten ein solches Maß an Unterstützung und Übereinstimmung zwischen Partei und Spitzenmann gegeben, wie das jetzt der Fall ist. Glauben Sie das wirklich? In dem Wahlkampf läuft doch einiges schief, oder warum sind die Umfragen so schlecht? Schröder: Ich kann Ihnen das gerne sagen. Sie haben als Regierung es immer damit zu tun, dass Ihnen auch jene Widrigkeiten, etwa die weltwirtschaftlichen Verwerfungen, zugerechnet werden, auf die Sie nur einen sehr begrenzten Einfluss haben. Das ist so, wenn Sie regieren. Das wird sich auch nie ändern. Damit haben wir uns herumzuschlagen. Das ist doch gar keine Frage. Und? Was folgt für Sie daraus? Schröder: Die Aufgabe, die wir haben, ist, das Vertrauen, das in die Person gesetzt wird, auf die Partei zu übertragen, weil die letztlich gewählt werden muss, wenn es zu einer Weiterregierung kommen soll. Obwohl Sie bei der Wirtschafts- und Steuerpolitik denkbar schlechte Noten bekommen? Schröder: Die Steuerpolitik, die wir gemacht haben mit dem ersten und zweiten Steuerentlastungsgesetz, ist sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite sehr ausgewogen. Übrigens, international hoch anerkannt. Die Union hatte 16 Jahre lang Zeit, so etwas Ähnliches zu bewerkstelligen, und sie hat es nicht hinbekommen. Wir haben heute für Steuersätze gesorgt, sowohl eine Steuerbelastung sowohl der bei den großen als auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen, die im unteren Drittel dessen liegen, was in Europa möglich und üblich ist. Die Opposition und die Mittelstandsverbände werfen Ihnen aber vor, Ihre Steuerpolitik habe die großen Kapitalgesellschaften bevorzugt. Beide fordern zumindest eine Senkung des Spitzensteuersatzes. Schröder: Sie können doch nicht gut herkommen und sagen, der tut zu viel für die Großen, und gleichzeitig wollen Sie den Spitzensteuersatz auf unter 40 Prozent drücken. Das ist doch wohl eindeutig eine steuerpolitische Maßnahme, die nur einigen wenigen hilft. Das heißt: Ihre Reformfreudigkeit in diesen Dingen ist erschöpft? Schröder: Was die Frage der Reformfreudigkeit angeht. Da will ich Ihnen nur sagen: Stoibers Leute haben doch 16 Jahre lang Zeit gehabt, zum Beispiel Kapitaldeckung bei der Rente aufzubauen. Das haben die doch nicht gemacht. Das haben wir gemacht. Natürlich unter großen Schwierigkeiten durchgesetzt. Stoiber: Hm, Hm... Schröder: Sie, Herr Stoiber, haben aber nie die politische Kraft entwickelt, in diesen wichtigen Reformbereichen das zu machen, was objektiv notwendig war. Ich prophezeie Ihnen, beim Arbeitsmarkt wird das ganz genau so sein. Fazit: Was Ihnen wirklich fehlt, ist eine Stringenz in der Argumentation. Sie versuchen durchaus populistisch.... Stoiber: Ha! Schröder: ..... sozusagen die Vorwürfe gegen das, was wir tun, zu mixen. Sie werfen uns auf der einen Seite vor, zu viel für die Großen zu tun, und auf der anderen Seite sagen Sie, wir hätten sie mit 20 Milliarden Mark belastet. Stoiber: Die großen Kapitalgesellschaften zahlen keine Körperschaftssteuer mehr, während Arbeitnehmer und Mittelstand 27 Milliarden Euro mehr Steuern zahlen als 1998. Da bringen Sie etwas durcheinander. Schröder: Nein, ich bringe da überhaupt nichts durcheinander. Stoiber: Wo passt das zusammen? Und auch die Wachstumsschwäche haben Sie nicht mitzuverantworten? Schröder: Sie müssen zur Kenntnis nehmen, in den neunziger Jahren, bis 1998, war das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in Deutschland unter 1,4 Prozent Jahr um Jahr. In der Zeit von 1998 bis jetzt beträgt es 1,8 Prozent im Durchschnitt der Jahre. Und das reicht Ihnen? Schröder: Das reicht mir nicht. Aber herzukommen und zu sagen, damals war alles besser, das glaubt Stoiber nun wirklich kein Mensch. Stoiber: Entschuldigen Sie bitte. Sie haben gesagt, ich werde nicht alles anders machen, ich werde vieles besser machen. Wenn ich heute Ihre Bilanz ansehe, über vier Millionen Arbeitslose im Juli, das Wachstum der Arbeitslosigkeit liegt über dem europäischen Durchschnitt. Das Argument kennt man inzwischen ..... Stoiber: ... Und obendrein ist Schröders Schlussbilanz, dass Deutschland in diesem Jahr mit seinen Haushalts-Defiziten ganz eindeutig über die 3,0-Grenze der Maastricht-Kriterien kommen wird. Die rot-grüne Wirtschaftspolitik führt dazu, dass der Blaue Brief diesmal von Brüssel definitiv kommen wird. Worauf wollen Sie hinaus? Stoiber: Die Lage ist ernst und macht mir Sorge. Rot-Grün wird leider nicht Neuverschuldung auf die von Eichel angenommenen 2,5 Prozent begrenzen können, allein auf Grund von 500 000 Arbeitslosen mehr, als Herr Schröder versprochen hat. Das allein sind etwa elf Milliarden Euro Kostenbelastung für den Haushalt und die sozialen Sicherungssysteme. Die Steuerschätzung bricht zudem um über elf Milliarden ein. Und die Ausfälle bei der Körperschaftsteuer schlagen mit weiteren rund neun bis zehn Milliarden minus im Haushalt zu Buche. Das heißt, ich muss die Menschen heute darauf aufmerksam machen, dass wir im Grunde eine zerrüttete Situation bei den öffentlichen Finanzen übernehmen müssen. Aber Herr Stoiber, wollten Sie die Körperschaftssteuer denn nicht auch senken? War denn das 25 Jahre alte Gesetz nicht reformbedürftig? Stoiber: Ich werfe Herrn Schröder vor, dass er einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat mit der Körperschaftsteuer. Da sind zwei Dinge, die miteinander vermischt worden. Eine 15-jährige Phase einzubauen, in der die Unternehmen ihre früher gezahlte Körperschaftsteuer zum Teil zurückverlangen können, führt jetzt im zweiten Jahr in Folge zu einem Totalausfall dieser wichtigen Einnahmequelle. Während Deutschland im Jahr 2000 noch 23 Milliarden Euro Körperschaftsteuer-Einnahmen hat te, haben wir 2001 mit Inkrafttreten Ihrer Steuerreform ein Minus von 400 Millionen gehabt. Jetzt, im zweiten Jahr, haben wir Steuerausfälle in der Körperschaftsteuer, die unerträglich sind. Bei sieben, acht, neun Ländern, insbesondere bei Ihrem Freund Clement, führen sie zu katastrophalen Situationen mit Haushaltssperren. Sie, Herr Schröder, haben hier einen schweren Fehler gemacht. Ich sage Ihnen das ganz offen: Sie mokieren sich ja manchmal, dass ich mehr die Akten studiere, während Sie die Dinge so locker nehmen. Schröder: Wer sagt das? Stoiber: Es ist ja immer so unterschwellig von Ihnen gesagt worden. Schröder: Von mir? Stoiber: Ja, natürlich. Schröder: Das verbreiten Ihre Leute, dass ich nicht lesen kann. Stoiber: Ich sage Ihnen, hätten Sie ein bisschen mehr aufgepasst, wäre Ihnen das bei der Körperschaftsteuer nicht passiert. Genau wie bei den Veräußerungserlösen von Industriebeteiligungen, von großen Kapitalgesellschaften. Die haben Sie für völlig steuerfrei erklärt und gleichzeitig diese Entlastungen dem Mittelstand verweigert. Das ist eine massive Ungleichbehandlung des Mittelstandes gegenüber den großen Kapitalgesellschaften. Und Sie sind plötzlich der Kämpfer gegen das Großkapital und Retter der kleinen Leute? Stimmt unsere Einschätzung? Stoiber: Die Ungleichbehandlung, die Herr Schröder zu verantworten hat, ist für mich auch vom sozialen Verständnis her schleierhaft. Er gibt den großen Kapitalgesellschaften im Verhältnis zum Mittelstand einen außerordentlich hohen Bonus. Dazu kürzen Sie, Herr Schröder, entscheidende Sozialleistungen oder Sozialverträglichkeiten für die kleinen Leute. Sie haben die Spekulationsfrist bei Wohnungsverkauf von zwei Jahren auf zehn Jahre erhöht. Sie haben gleichzeitig den Sparer-Freibetrag halbiert. Sie haben den Steuersatz für die Abfindung von Arbeitnehmern erhöht, was mir unverständlich ist. Wenn jemand entlassen wird, weil das Unternehmen Pleite macht, bekommt er noch 10.000, 15.000 oder 20.000 Euro. Vor Ihrer Regierung zahlte der Betroffene für diese 20.000 Euro Abfindung den halben Steuersatz, heute deutlich mehr. Da werfe ich Ihnen einfach deutlich vor, Sie haben die soziale Balance in dieser Gesellschaft nicht im Auge gehabt. Die Kritik über die Ungleichbehandlung von Mittelstand und Kapitalgesellschaft hört man oft. Herr Bundeskanzler, sehen Sie da in der neuen Legislaturperiode Handlungsbedarf? Schröder: Wir sind diejenigen, die im ersten Schritt dafür gesorgt haben, dass der Mittelstand, weil das Personengesellschaften sind, die also zur Einkommensteuer veranlagt werden, ab jetzt maximal 48,5 Prozent, 2005 höchstens noch 42 Prozent zahlen. Und was ist mit den Ausfällen der Körperschaftssteuer? Schröder: Seit 1977 gilt das alte Körperschaftsteuer-Recht. Die sich daraus ergebenden Steuerguthaben sind vor allem in den letzten 16 Jahren entstanden und sie resultieren aus der Differenz zwischen der Besteuerung der einbehaltenen und der Besteuerung der ausgeschütteten Gewinne. Nicht ich habe 16 Jahre lang regiert, sondern Stoibers Leute waren das. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2002)