Nordkoreas Führer mögen sich derzeit fühlen wie auf einer losgerissenen Bohrinsel in sturmgepeitschter See. Ihr System von Repression und Planwirtschaft, mit dem sie Jahrzehnte hindurch das Volk aussaugten, liefert nichts mehr. Das Regime kann seinen eigenen Kurs nicht mehr bestimmen und ist dabei, sich zu ertränken. Da ist es besser, man spricht ein wenig mit den Rettungsbooten aus dem Süden, die vor der Plattform kreuzen. Da macht es andererseits schon keinen Unterschied, gleich mit einem letzten furiosen Militärstreich unterzugehen, sollte die Kriegsmarine der USA auffahren und dem Regime des Kim Yong-il mit Vernichtung drohen.Ausweglosigkeit ist das treibende Moment der nordkoreanischen Führung und erklärt ihr neurotisches Verhalten gegenüber der Außenwelt: An ein und demselben Tag verhandelt Pjöngjang mit Südkorea über den Bau einer gemeinsamen Eisenbahnlinie und droht den USA mit der Aufkündigung des Atom-Abkommens von 1994 wegen einer an sich unspektakulären Äußerung eines US-Emissärs. Der hatte verlangt, was Pjöngjang ohnehin unterschrieben hatte: Inspektionen der Waffenlabors und Plutoniumlager durch internationalen Organisationen. Wie verzweifelt Nordkoreas Führer sein müssen, zeigen bruchstückhafte Berichte über wirtschaftliche "Reformen" in dem abgeschotteten Land: Seit Juli soll der Staat die Löhne zum Teil um das Zwanzigfache, die Preise für Nahrungsmittel um bis zu das Dreißigfache angehoben haben. Pjöngjang will damit die Produktivität steigern. Mit Marktwirtschaft haben diese "Reformen" nicht viel zu tun, mehr schon mit dem Eingeständnis, dass mehr als 60 Jahre kommunistische Verwaltung das Land zerstört haben. Kim Jong-ils Zwangslage erklärt, warum Dialog mit Nordkorea funktionieren kann und übermäßiger militärischer Druck in den Abgrund führt. (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.8.2002)