Caracas/Montevideo - Der seit Wochen schwelende Konflikt zwischen Anhängern von Venezuelas Präsident Hugo Chávez und dem Obersten Gerichtshof des Landes ist zur Wochenmitte eskaliert. Rund um das Gericht im Zentrum von Caracas lieferten sich am Mittwoch mehrere Tausend regierungstreue Demonstranten Straßenschlachten mit der Nationalgarde. Auslöser war die Einstellung des Verfahrens gegen vier ehemalige Offiziere. Sie waren wegen Rebellion und eines versuchten Staatsstreiches gegen Chávez im April angeklagt.Das Strafgesetz kenne kein Delikt der "Rebellion", und die Offiziere hätten damals nicht zu den Waffen gegriffen, sondern lediglich versucht, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, nachdem die Medien Chávez' angeblichen Rücktritt vermeldet hätten, lautete die vom vorsitzenden Richter Franklin Arrieche ausgearbeitete Urteilsbegründung. Arrieche, der als Regierungsgegner gilt, folgte damit der Argumentation der Militärs und der Opposition. Elf der 19 anwesenden Richter waren seiner Meinung. Gleich nach der Urteilsbegründung begannen die Krawalle. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschoße ein, die Chávez-Treuen warfen Steine und errichteten Barrikaden aus brennenden Autoreifen. Es fielen Schüsse, und es gab mindestens drei Verletzte. Parlamentspräsident William Lara drohte drei Richtern mit Amtsenthebung. Er werde überprüfen, ob die drei auf rechtmäßigem Wege gewählt worden seien. Andere Regierungspolitiker schlugen eine neue verfassungsgebende Versammlung vor, um die Justiz besser unter Kontrolle zu bekommen. Im reichen Osten der Stadt feierten Anhänger der Opposition derweil den Freispruch als Etappensieg. Die Episode wirft ein Schlaglicht auf die Polarisierung der venezolanischen Gesellschaft, deren Ursache der umstrittene linkspopulistische Präsident ist, und die alle Institutionen des Landes ergriffen hat. Der Druck auf das Gericht im Vorfeld des Urteils war groß, Chávez hatte sich öffentlich für die Bestrafung der Militärs eingesetzt und gedroht, das Volk werde kein anderes Urteil akzeptieren. Die vier Angeklagten, darunter Exheereschef Efrain Vásquez, hatten sich während des Staatsstreichs im April auf die Seite der Opposition gestellt. (Sandra Weiss/DER STANDARD, Printausgabe, 16.08.2002)