Leipzig/Wien - Sprechen oder nicht sprechen, das ist die Frage, die Mensch und Tier zu scheiden scheint. Nun steht so gut wie fest, wo im Genom die Antwort sitzt: in nur zwei von 715 Aminosäuren, die nur zu einem Gen gehören. Das ist dessen einziger Unterschied beim Vergleich Mensch-Schimpanse, sagt eine spektakuläre Studie nun.Dass das Gen FOXP2 mit Sprache zu tun hat, wissen die Forscher seit dem Vorjahr. Es ist ein Transkriptionsfaktor, der andere Gene ein- oder ausschaltet. Menschen mit Schäden an diesem Gen haben Schwierigkeiten, entscheidende Gesichtsmuskeln bzw. die Zunge richtig zu steuern. Geschichte des Gens zurückverfolgt Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat nun aber die Geschichte des Gens zurückverfolgt, das von ihm gesteuerte Eiweiß mit dem entsprechenden Protein bei anderen Primaten und der Maus verglichen. "Wir dachten, es würde sehr verschieden sein", lacht Pääbo im Gespräch mit dem STANDARD, "Mäuse sprechen ja nicht ..." Ergebnis: Das Mausprotein unterschied sich von unserem gerade in drei der 715 Aminosäuren und in einer einzigen vom Schimpansenprotein - die einzige Veränderung dieses Gens in 140 Millionen Jahren Evolution. Es ist also sehr alt und stabil. Bei Schimpansen und Gorillas waren überhaupt nur zwei Säuren anders. Diese Veränderung, sagen die Forscher um Pääbo, trat wohl erst in den letzten 200.000 Jahren, also mit dem Aufkommen des anatomisch modernen Menschen, auf. "Wie ein Lauffeuer durchgesetzt" Die, die die zwei Aminosäuren in sich trugen, setzten sich wie ein Lauffeuer gegen Artgenossen ohne diese Mutation durch. "Wie eine Explosion", beschreibt Pääbo die Ausbreitung nach Vergleich mit Mutationsmustern bei anderen kleinen Genveränderungen. - "Starke Hinweise darauf, dass es sich erst vor kurzer Zeit im Menschen durch positive Selektion rasch verbreitet hat. Das ist richtig aufregend." Dass dies am (verbesserten) Sprachvermögen lag, "können wir formal nicht beweisen", räumt Pääbo ein, "aber es ist eine vernünftige Annahme." Zwei Aminosäuren eines Gens könnten also die Grundlage unserer Kultur sein. Doch das Gen ist nicht alles. Gerade bei Sprache kommt Umwelt, sprich Erziehung dazu, die die genetische Wurzel erst zu einem Pflänzchen, dann zu einer Pflanze und in einigen wenigen Fällen zur sprachlichen Blüte bringt. Für den letzten Beweis "müssten wir transgene Schimpansen mit Menschen-FOXP2 bauen. Aber schreiben Sie nicht, dass wir das wollen", scherzt Pääbo, der stattdessen Laborversuche plant. Transgene Affen müssten sich zumindest anders artikulieren können als Artgenossen. Noch abwegigerer Beweis: Menschen mit Affengen züchten und beobachten, ob ihnen trotz bester Kinderstube die Worte fehlen. (Roland Schönbauer, DER STANDARD, Print, 16.08.2002)