Wien
Streitpunkt deutsches Budgetdefizit: Debatte abgelehnt
Schröder: "Das interessiert mich überhaupt nicht" - Obwohl: Millionenhilfen könnten zu höherer Kreditaufnahme zwingen
Berlin/Brüssel - Die millionenschweren Hochwasserhilfen
haben eine neue Debatte über die Stabiliätsvorschriften der EU
entfacht. Angesichts zusätzlicher Budget-Belastungen durch die
Flutkatastrophe müssten die Kriterien für einen "Blauen Brief" aus
Brüssel überprüft werden, sagte Bundeswirtschaftsminister Werner
Müller (parteilos) der "Berliner Zeitung" vom Freitag. "Darüber wird
es noch Diskussionen geben müssen in den nächsten Wochen". Der deutsche Finanzminister Hans Eichel (SPD) hält die Debatte
hingegen für verfrüht. Auch die EU-Kommission wollte zu den möglichen
Auswirkungen der Flutschäden auf den deutschen Haushalt zunächst
nicht Stellung beziehen. Müller geht davon aus, dass die von der Bundesregierung zugesagten
Hilfen in Höhe von fast 400 Mill. Euro nicht ausreichen werden. Zwar
beträfen einige Maßnahmen den Bundeshaushalt nicht, wie etwa die
Sonderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau. "Richtig ist
aber, dass durch die immensen Schäden bei der Infrastruktur wohl
zusätzliche Belastungen auf den Haushalt zukommen", fügte der
Minister hinzu.
Kreditaufnahme
Zusätzliche Millionenhilfen der Regierung für die Flutopfer
könnten den Bund zu einer höheren Kreditaufnahme zwingen. In diesem
Fall geriete die Neuverschuldung womöglich über das von Brüssel
tolerierte Maß von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).
Inwiefern die Hochwasserhilfen weitere Löcher in den Haushalt reißen,
lässt sich nach Angaben von Eichels Sprecher aber erst einschätzen,
wenn das genaue Ausmaß der Schäden feststeht. Jetzt aber gehe es in
erster Linie darum, Soforthilfen zu leisten, betonte er.
Zur Bekämpfung der Flutschäden sei eine "nationale solidarische
Leistung" nötig. Die EU-Kommission wehrte Stellungnahmen zu den
Folgen der Flutschäden auf den deutschen Haushalt und die deutschen
Verpflichtungen im Rahmen des europäischen Stabilitätspakt ab. "Zur
Zeit ist es dafür wirklich viel zu früh", sagte ein Sprecher in
Brüssel.
Schröder: "Das interessiert mich überhaupt nicht"
Auch der Mainzer Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven hält die
gegenwärtige Diskussion für verfrüht. Zunächst müsse das genaue
Ausmaß der Schäden ermittelt werden, sagte er der Nachrichtenagentur
AFP. Erst bei Hilfen, die den einstelligen Milliardenbereich
überschritten, sehe er die Einhaltung der Maastricht-Kriterien
tatsächlich gefährdet. Die Debatte ist in seinen Augen politisch
motiviert: Die Hochwasser-Kosten dürften nicht dafür herhalten, eine
mögliche Überschreitung der Drei-Prozent-Marke zu rechtfertigen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte schon am Donnerstag zu
erkennen gegeben, dass er die Frage des Defizites im Zusammenhang mit
den Hilfszahlungen beiseite lassen will. "Das interessiert mich
überhaupt nicht", sagte Schröder auf die Frage, ob die angekündigten
Zahlungen zu einer höheren Staatsverschuldung führen könnten.
Regierungssprecher Bela Anda betonte anschließend: Die Einhaltung der
Sparziele des europäischen Stabilitätspaktes bleibe
"selbstverständlich weiterhin das Ziel der Bundesregierung".
Neben Deutschland drohen auch Frankreich, Portugal und Italien in
diesem Jahr die von der EU festgelegte Höchstgrenze für die
Neuverschuldung von drei Prozent des BIP zu überschreiten. Eichel
hielt aber vor dem Hochwasser an seiner Defizit-Prognose von
schlimmstenfalls 2,5 Prozent fest - ungeachtet der schlechten
Konjunktur und der wegbrechenden Steuereinnahmen. Österreich hatte wegen der Hochwasserkatastrophe bereits seine
Haushaltspläne gekippt. Wie berichtet will die Regierung zur
Finanzierung der Hilfen auf den Kauf mehrerer
Eurofighter-Kampfflugzeuge verzichten und die geplante Steuerreform
um ein Jahr verschieben.
Brüssel hält Debatte über deutsches Defizit für verfrüht
Die EU-Kommission will derzeit nicht über die
möglichen Auswirkungen der Flutschäden auf den deutschen Haushalt und
die deutschen Verpflichtungen im Rahmen des europäischen
Stabilitätspakt reden. "Zur Zeit ist es dafür wirklich viel zu früh",
sagte ein Kommissionssprecher am Freitag in Brüssel. Deutschland
droht wegen der nötigen Millionenhilfen für die Hochwasseropfer eine
höhere Kreditaufnahme. In diesem Fall geriete die Neuverschuldung
womöglich über das von Brüssel tolerierte Maß von drei Prozent des
Bruttoinlandsproduktes (BIP). (APA/AFP)