Seit nunmehr über vier Jahren wandert die Wehrmachtsausstellung durch Deutschland und Österreich und war Anlass für zahllose Diskussionen in der Öffentlichkeit und im Familienkreis. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürte sie zur "erfolgreichsten politischen Ausstellung" (1. 9. 99).

Drei Historiker haben nunmehr in Fachorganen Artikel publiziert, in denen den Ausstellungsgestaltern vorgeworfen wird, dass zwölf der insgesamt über 1400 Fotos der Ausstellung nicht Verbrechen der Wehrmacht, sondern Verbrechen der Sowjets oder mit der Wehrmacht verbündeten alliierten Truppen dokumentieren. Fünf dieser Fotos waren bereits im Frühjahr 99 aus der Ausstellung entfernt worden, bei einigen Fotos halten wir die Kritik für unberechtigt, die übrigen werden überprüft.

Soweit der Tatbestand, der die FAZ nunmehr veranlasst, die Ausstellung mit "staatlich gelenkten Desinformationskampagnen" (22. 10.) zu vergleichen. So berechtigt die wissenschaftliche Kritik zum Teil ist, so unangemessen erscheint die mediale Reaktion. Uns, den Ausstellungsverantwortlichen, war von Beginn an klar, dass es bei der Verwendung von Bilddokumenten zu Kontroversen hinsichtlich Quellenlage und Interpretation kommen kann. Dem wurde Rechnung getragen, indem wir - die Ausstellung auch als "work in progress" verstehend - neue Informationen integrierten.

Kernaussage gesichert

Denn wie keine andere Ausstellung zuvor, hat diese ihre eigenen Quellen hervorgebracht: Im Laufe der Jahre sind Hunderte Fotos, Tagebücher und Feldpostbriefe von Besuchern eingegangen, die neue Perspektiven eröffnen, andere Interpretationen des Ausstellungsmaterials ermöglichen und dadurch die Erkenntnisse über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht geradezu dynamisieren.

Dieser Informationsschub wird systematisch in die Ausstellung eingearbeitet. Weder durch die neuen Materialien noch durch die aktuelle wissenschaftliche Kritik wurden die Kernaussagen der Ausstellung in Frage gestellt. Selbst der schärfste Kritiker, der Historiker Bogdan Musial, schreibt in seinem Aufsatz, "dass die Wehrmacht an Verbrechen, besonders im Gebiet der damaligen Sowjetunion und auf dem Balkan, zum Teil massiv beteiligt war".

Diese Erkenntnisse Musials und der beiden anderen Historiker, Krisztián Ungváry und Dieter Schmidt-Neuhaus, eignen sich nicht dazu, die Legende von der "sauberen Wehrmacht" wieder aufzuwärmen. Wer immer mit Bildmaterial aus der NS-Zeit zu tun hat, weiß, wie schwierig der Umgang mit diesen Quellen ist und wie oftmals sorglos damit umgegangen wurde. Fotos wurden in TV-Dokumentationen, Bildbänden und Ausstellungen meist nur illustrativ verwendet, die Bildlegenden mehr oder weniger unhinterfragt aus Fotoarchiven übernommen.

Aus diesem Grund haben wir, sorgfältiger als wahrscheinlich je zuvor, die Fotos u.a. von einem Uniformgutachter prüfen lassen und nur Fotos verwendet, von denen wir beim damaligen Forschungsstand mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen konnten, dass sie als Quelle gesichert wären.

Die gesamte Tragweite der Quellenproblematik wurde uns erst im Laufe der Ausstellung voll bewusst. Zur Illustration: Ein und dieselbe Hinrichtungsszene in der serbischen Stadt Pancevo vom April 1941 ist in zumindest sieben seriösen Publikationen und Fotoarchiven - darunter in so renommierten wie dem Katalog zur Ausstellung "Topographie des Terrors" in Berlin oder in der "Enzyklopädie des Holocaust" - mit teils völlig verschiedenen Bildlegenden versehen. Sie verlegen die Szene abwechselnd in die Jahre 1942 oder 1943, nach Riga, Kiew oder Lublin.

Wir waren bemüht, auf kritische Hinweise offen und sensibel zu reagieren und die Hinweise auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Dabei sind auch Fehleinschätzungen passiert. So etwa wurden die Kritikpunkte Bogdan Musials anfangs falsch bewertet und nicht mit genügender Vehemenz verfolgt. Wer aus diesem Umstand allerdings flockig ableitet, die Ausstellungsmacher hätten die "Fehlinformationen der sowjetischen Propaganda ungeprüft übernommen" und wären "offensichtlich mehr an einer politischen Kampagne denn an der historischen Wahrheit interessiert" (Konrad Paul Liessmann, STANDARD, 30. 10.), dokumentiert damit kaum mehr als seine fachliche Inkompetenz und wissenschaftliche Ignoranz.

Die ungewöhnliche Resonanz und der anhaltend hohe Grad an emotionaler Reaktion auf diese Ausstellung zeigen, dass sie ein Nervenzentrum der deutschen und österreichischen Gesellschaft getroffen hat. An der Ausstellung hat sich ein Kampf um die Erinnerung entzündet.

Relationen wahren

Umso sorgsamer und gewissenhafter müssen die Verantwortlichen mit der Ausstellung umgehen. Darum wird ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium gebildet werden, das die Bilder und Dokumente der Ausstellung überprüfen wird und die aufgeworfenen Forschungsfragen weiter diskutiert.

Kritik ist der Humus der Erkenntnis - auch wenn dies manchmal schmerzt. Eine kritische Öffentlichkeit sollte aufmerksam genug sein, die politische Instrumentalisierung von Wissenschaftskritik zu durchschauen, wenn es darum geht, den Status quo ante von der Legende der "sauberen" Wehrmacht wieder herzustellen.

Dr. Walter Manoschek ist Mitgestalter der Wehrmachtsausstellung und Universitätsassistent am Institut für Staats-und Politikwissenschaft der Universität Wien.