Angesichts des katastrophalen Hochwasserereignisses dieser Tage, steht "naturgemäß" die Frage nach dem Klimawandel - und damit nach der Verantwortung des Menschen für diese Katastrophe(n) - im Zentrum der öffentlichen Debatte. Dabei wird deutlich, dass sich seit dem Diktum von Johann Gottfried Herder, die Anwendung unserer Erkenntnisse zur Erforschung des Klimas sei "schwer und trüglich", offenbar nicht viel geändert hat.Unser derzeitiger Wissensstand reicht nämlich noch bei weitem nicht aus, so komplexe Systeme hinreichend zu verstehen, und genau das ist wohl auch der Grund, warum man in dieser Diskussion dazu neigt, die Welt zu einem apokalyptischen Pandämonium zu stilisieren. Fragwürdige Daten ... Die Tatsache, dass das Wetter Kapriolen schlägt und sich einzelne Klimaparameter (Temperatur, Niederschlagsverteilung, Windhäufigkeit und -stärke etc.) derzeit im Vergleich zum langjährigen Schnitt ändern, ist zunächst unbestritten und historisch gut dokumentiert. So kann man heute den Medien fast zu jeder Jahreszeit Schlagzeilen über noch nie gemessene Temperaturrekorde entnehmen, die aber auch von längerfristigen Beobachtungen bestätigt werden. So kommt etwa das schweizerische Nationale Forschungsprogramm NFP31 (Klimaänderungen und Naturkatastrophen) zum Schluss, dass tatsächlich über die letzten 100 Jahre eine Erwärmung (in der Schweiz) feststellbar ist. Zugleich aber wird explizit darauf verwiesen, dass - im Gegensatz zur öffentlichen kollektiven Wahrnehmung - ein direkter Zusammenhang dieser Entwicklung mit der Häufung von Naturkatastrophen nicht nachweisbar ist. Der wertfreien empirischen Wissenschaft stellt sich somit das Problem, eine sich (scheinbar) langsam abzeichnende Entwicklung (die "hausgemachte" Klimaänderung nämlich) von der natürlichen Variabilität des Klimas zu unterscheiden, wobei folgende Fragen im Vordergrund stehen: 1) Welche überregionalen Klimaanomalien sind aufgrund der natürlichen Variabilität des Klimas in den letzten Jahrhunderten aufgetreten und wie sind sie zeitlich verteilt? 2) Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Anomalien und dem Auftreten von Naturkatastrophen? 3) Kann ein klimageschichtlicher Rückblick zur Identifikation von anthropogenen Klimabeeinflussung beitragen? Für die letzten 500 Jahre lassen sich ausreichend Daten finden, um die ersten beiden Fragen zumindest im Ansatz zu klären. Zur Beantwortung der dritten Frage allerdings reichen derzeit die vorhandenen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse nicht aus: Die Daten aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert werden allgemein als zu weich angesehen, Daten aus der jüngsten Zeit haben den Nachteil, dass sie einerseits für statistisch signifikante Aussagen zu kurzfristig sind, um daraus einen allgemeinen Trend abzulesen, und sie andererseits menschliche Aktivitäten bereits so "verfälscht" haben, dass zwischen natürlicher Variabilität und anthropogener Beeinflussung nicht mehr differenziert werden kann. ... und Begriffe Man denke in diesem Zusammenhang nur etwa daran, wie enorm sich die Geschwindigkeit der Berichterstattung in den vergangenen Jahren (insbesondere durch das Internet und durch Mobiltelefonie) erhöht hat. Dadurch rücken Ereignisse ins Zentrum der Weltöffentlichkeit, die früher der Berichterstattung kaum oder gar nicht zugänglich waren. Subjektiv entsteht demzufolge der Eindruck, dass heute mehr passiert als früher. Dazu kommen Definitionsprobleme und die Schwierigkeit der quantitativen Erfassung: Was ist überhaupt eine Naturkatastrophe? Wie misst man die Auswirkungen? Wo finden sich Daten über solche Ereignisse? Sind diese vollständig und zuverlässig? Als aktuelles Beispiel sei die Militärdiktatur Burmas genannt, die es den Medien untersagt, schlechte Nachrichten zu verbreiten. Dazu zählen explizit Berichte über Naturkatastrophen (STANDARD vom 16.7.02). Zudem besteht seit einigen Jahren die Tendenz, fast alle auftretenden natürlichen Phänomene gleich als "Naturkatastrophen" zu apostrophieren. Eine empirische Bilanz der letzten hundert Jahre zeichnet demgegenüber ein differenziertes Bild: Evident erscheint demnach, dass bei wachsender Katastrophenanfälligkeit der Erde (Anzahl der Ereignisse) insgesamt die Verwundbarkeit der Gesellschaft (Anzahl der Todesopfer je Katastrophenart) sinkt. Berücksichtigt man zudem die Tatsache, dass sich die Weltbevölkerung im betrachteten Zeitraum verdreifacht hat, ist dies eine eher erfreuliche Bilanz. Kein Freibrief Zweifelsohne wird es zahlreiche Fälle geben, in denen der Mensch durch seine Tätigkeit - in kleinerem oder größerem Maßstab - Naturkatastrophen auslöst oder mitverschuldet: etwa durch Rodung von Schutzwäldern (Lawinen), durch harte Regulierung von Flüssen (Hochwasser) oder durch Eingriffe in den (Hang-)Wasserhaushalt bei der Errichtung von Verkehrswegen (Hangrutschungen), vielleicht auch durch Emittierung von CO2 (Klima), aber auch durch das Siedeln in einer potenziell gefährlichen Lage. Die Hauptursache für den langfristig steigenden Schadenstrend ist jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht die Klimaerwärmung bzw. deren Folgen, sondern die Bevölkerungszunahme und die gestiegene Bevölkerungsdichte in Kombination mit einer gestiegenen Wertdichte unserer Lebensräume. Naturereignisse werden in der Regel erst durch die Anwesenheit des Menschen zu Katastrophen. Im unbesiedelten und unbewirtschafteten Gebieten nimmt man gewöhnlich von Muren, Lawinen und Hochwässern keine Notiz. (Insbesondere für Raum- und Verkehrsplaner ist es daher von besonderem Interesse zu wissen, wie er durch sein Zutun künftige Fehler vermeiden kann beziehungsweise wie er begangene Fehler - etwa in der Flächenwidmungsplanung - "reparieren" kann.) Zusammenfassend: Gesetzmäßigkeiten über die Auswirkungen und Frequenz von Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel lassen sich nur induktiv aufstellen und tendieren somit zu voreiligen Verallgemeinerungen - wie etwa der im Titel angedeuteten These, dass die Natur gewalttätiger wird. Seriöse Wissenschaft muss sich solcher "Schnellschüsse" enthalten - ohne Umweltsündern damit eine Freibrief auszustellen. Denn der Umkehrschluss, dass die Häufung von Naturkatastrophen nichts mit dem Klimawandel zu tun habe, ist ebenso unzulässig. (DER STANDARD, Print, 17./18.08.2002)