Hamburg/Washington - In Deutschland ist eine Debatte über den in den USA jetzt gesetzlich vorgeschriebenen Eid auf die Richtigkeit von Bilanzen und die damit verbundenen Auswirkungen auf deutsche Unternehmen entbrannt. Die deutsche Regierung lehnt das US-Börsengesetz ab. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sprach von einem "problematischen Vorhaben" und forderte den zuständigen EU-Kommissar Frits Bolkestein auf, die USA "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln davon abzubringen" ausländische Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, schreibt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Die US-Börsenaufsicht SEC teilte unterdessen mit, dass bis zum vergangenen Freitagabend 760 Beglaubigungen eingegangen seien. Insgesamt waren 700 Unternehmen verpflichtet worden, bis Mittwoch vergangener Woche die entsprechende Bescheinigung abzugeben. Weiteren 250 Unternehmen war Zeit bis zum September oder Dezember eingeräumt worden. Fristaufschub Der "Washington Post" vom Samstag zufolge bat "eine Handvoll" der Unternehmen um einen Fristaufschub. Nach Angaben des Blattes bescheinigte die Unternehmensführung des Pleite gegangenen Energieriesen Enron ebenfalls wie die des Stahlerzeugers LTV. Corp., dass ihre Bilanzen nach nach dem Bankrott akkurat seien. Für jene davor könnten sie keine Beglaubigungen vorlegen. WorldCom, Quest Communications und Adelphia Communications Corp., die wegen Bilanzskandalen in die Schlagzeilen geraten waren, teilten mit, dass es keine Beglaubigungen geben werde. Nach Auffassung der deutschen Justizministerin ist anzuerkennen, dass die Amerikaner das erschütterte Vertrauen in die US-Finanzmärkte wiederherstellen wollten: "Es kann aber nicht angehen, dass die US-Gesetzgebung gleichzeitig extraterritoriale Auswirkungen anstrebt", stellte Däubler-Gmelin in dem Brief vom vorigen Donnerstag laut "Spiegel" fest. Sollten die Amerikaner dennoch darauf beharren, dass die neuen Börsengesetze auch für deutsche an der New Yorker Börse gelistete Unternehmen und deren Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gelten, droht Däubler-Gmelin "mittelfristig" mit einer Gegenreaktion. Ausnahmeregelungen erbeten Börsenexperten und Firmen in Deutschland beurteilen den Eid unterschiedlich. Der Börsensachverständige Prof. Wolfgang Gerke (Nürnberg) sagte der "Berliner Zeitung": "Ein derartiger Zwang wäre gut, wenn er es erleichtert, gegen betrügerische Firmenchefs vorzugehen". Die Geschäftsführerin der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK), Reinhild Keitel, erwartet, dass die Manager nach einem Schwur "mehr Sorgfalt walten lassen". In einem vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) koordinierten Schreiben an die amerikanische Börsenaufsicht SEC bitten mehrere in New York notierte deutsche Unternehmen um eine Ausnahmeregelung. Der BDI will die Aktion an diesem Montag der Öffentlichkeit erläutern. Laut "Börsen-Zeitung" und "Financial Times Deutschland" (FTD) gehören zu den Unterzeichnern DaimlerChrysler, Allianz, BASF, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Infineon und Altana. Nicht darunter sind laut "Börsen-Zeitung" Fresenius Medical Care, Schering und Celanese. An der New York Stock Exchange sind 17 deutsche Unternehmen notiert. Elf US-Unternehmer im Boykott Die Top-Manager von elf der größten börsennotierten US-Unternehmen sind der Aufforderung der US-Börsenaufsicht SEC zur Beglaubigung der Firmenbilanzen nicht nachgekommen. Die SEC veröffentlichte in der Nacht zum Samstag auf ihrer Internet-Seite die Namen dieser Firmen. Die SEC hatte in einer bisher beispiellosen Aktion die Chefs und Finanzvorstände von 947 US-Unternehmen aufgerufen, bis zum vergangenen Mittwoch die Korrektheit ihrer Firmenbücher persönlich zu beglaubigen. Wer sich dazu nicht in der Lage sah, musste dies der SEC in einer eidesstattlichen Erklärung mitteilen. Ziel der Regelung ist es, das nach einer Reihe von Bilanzskandalen in den USA erschütterte Vertrauen der Anleger wieder herzustellen. (APA/dpa)