Washington/Wien - Feindlich gesonnene Länder, so soll es in einem bereits im Juli verfassten Memorandum an das Weiße Haus heißen, hätten Interesse an der Technik für die langsam fliegenden "Cruise Missiles" gezeigt. Ein Problem mehr für den US-Raketenschild: 2002 sollte das Jahr des großen Starts für das System zur Abwehr von Angriffen aus Terrorstaaten sein. Doch auf halbem Weg fiel der Vorhang hinter den angeblichen Erfolgsmeldungen über geglückte Raketentests und "kill vehicles", die in 150 Kilometer Höhe zielgenau eine anfliegende Sprengkopfattrappe zerstören: Mehrfach kam die Abfangrakete gar nicht erst aus der Startvorrichtung; tat sie es doch, hatte sie angeblich eine Erfolgsquote von kaum mehr als 50 Prozent.Spätestens im Juli sollen die Planer im Pentagon die Bremse gezogen haben. PAC-3 (Patriot Advanced Capability-3), eine Fortentwicklung jener Patriot-Raketen, die im Golfkrieg in Israel einen gewissen Schutz gegen irakische Scud-Raketen geboten hatten, ist noch nicht reif für eine Serienproduktion. Dafür annoncierten der US-Rüstungskonzern Boeing und sein europäisches Gegenstück EADS bei einer Luftschau im britischen Farnborough im Juli eine Premiere: ein gemeinsames Projekt zur Entwicklung einer globalen Raketenabwehr. Die plötzliche Bewegung im transatlantischen Verhältnis hat einen Grund: Seit dem Wegfall des ABM-Vertrags zwischen den USA und Russland vergangenen Juni kann Washington mit den Verbündeten offiziell über Technologie und Anforderungen einer Raketenabwehr diskutieren. Eine solche Weiterverbreitung von Informationen hatte der ABM-Vertrag noch untersagt. Weil die Verbündeten in Europa Washingtons Raketenplänen aber eher distanziert gegenüberstehen, fragen US-Emissäre nun bei den europäischen Rüstungsunternehmen nach. Mit den Produktionsaufträgen, so die Überlegung, folgt auch die politische Einbindung. Kleinere gemeinsame Entwicklungsprojekte in der Raketenabwehr wickeln die USA dabei bereits mit Israel, Japan sowie mit Deutschland und Italien ab. "Bei der Raketenabwehr zählt die Geografie", erinnert gern der Chef der "Missile Defence Agency" innerhalb des US-Verteidigungsministeriums, Generalleutnant Ronald T. Kadish. Nord- und Zentraleuropa mit seinen neuen oder künftigen, in jedem Fall aber den USA besonders verpflichteten Nato-Mitgliedsstaaten, vor allem aber die Türkei tauchen in den Überlegungen für eine Stationierung von Elementen eines US-Raketenschilds immer wieder auf. "Um maximalen Schutz vor Drohungen aus Nahost sowohl für amerikanisches als auch europäisches Territorium zu gewährleisten", so schreibt etwa Richard Sokolsky, ein renommierter US-Sicherheitsexperte, "müsste eine Abfangstation in Zentraleuropa liegen, vielleicht in Tschechien, Deutschland oder Polen." Seegestützte Elemente des Raketenschilds, so genannte "midcourse systems" - in der Ostsee, im Schwarzen Meer oder der Ägäis - gelten als politisch weit weniger strittig. Ebenso wie abgelegene Regionen im Südosten der Türkei: Von dort aus, so überlegen Pentagon-Generäle, könnten Raketen des Irak oder Irans noch in der Startphase zerstört werden. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2002)