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Diese Hochwasserkatastrophe hat Deutschland verändert. Das dramatische Geschehen entlang der Elbe füllt die Wahrnehmung der Menschen völlig aus. Es kommen immer neue Hiobsbotschaften aus den neuen Bundesländern, und die Menschen in der gesamten Bundesrepublik fiebern mit. Der Wahlkampf ist fünf Wochen vor dem Urnengang weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt. Jetzt geht es um Wesentliches, um das Überleben. Inmitten all des Leids gibt es viele beeindruckende Szenen, die in den Hochwassergebieten zu beobachten sind. Nicht nur die Betroffenen packen an, aus allen Landesteilen eilen Menschen herbei, um zu retten, was noch zu retten ist. Es ist besonders bitter, dass ein Großteil des Aufbaus, der nach der Wiedervereinigung geleistet wurde, von den Fluten weggespült wurde. Das fängt mit der Infrastruktur wie Bahnlinien an und endet bei den Tausenden Hausbesitzern, die in den Jahren nach der Wende ihr Heim zum Teil liebevoll restauriert haben. Vieles wurde mit dem unbeliebten Solidarzuschlag finanziert, den alle deutschen Steuerzahler berappen. Die Klagen über diesen Obulus nahmen zu, je weiter der Mauerfall zurückliegt. Damit dürfte Schluss sein. Auch die FDP wird diesen Passus aus ihrem Wahlprogramm streichen. Denn es ist allen klar, dass nun vielerorts in Ostdeutschland wieder von vorne begonnen werden muss. Aber wie die Spenden zeigen, sind die Deutschen bereit, diese Last zu tragen. Eine beispiellose Solidaritätswelle schwappt über das ganze Land. Erst aus diesem furchtbaren Anlass scheint sich zu erfüllen, was sich der Publizist und Chef der ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, Günter Gaus, gewünscht hat: dass die Elbe nicht als Deutschlands Grenze, sondern als Deutschlands Strom begriffen wird. Dieser Appell fruchtet nun - zwölf Jahre nach der Vereinigung. Gerade deshalb ist zu bedauern, dass Politiker wie der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber noch immer nicht verstanden haben, dass es auf das Miteinander zur Bewältigung dieser Katastrophe ankommt. Dass sich der bayerische Ministerpräsident und CSU-Politiker am Wochenende nur mit den CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt getroffen hat, der Regierungschef des ebenfalls betroffenen Bundeslandes Brandenburg aber nicht eingeladen wurde, weil er der SPD angehört, zeugt von Kleingeist. In die gleiche Kategorie fallen Versuche der deutschen Grünen, nun wegen der Hochwasserkatastrophe eine Verlängerung der Ökosteuer durchsetzen zu wollen. Auch Aussagen von grünen Spitzenpolitikern wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin bei Besuchen in der Hochwasserregion, dass die Grünen ohnehin schon vor den Folgen einer falschen Klimapolitik gewarnt hätten, sind peinlich. Bundeskanzler Gerhard Schröder wiederum scheint verstanden zu haben, dass es nicht nur das Zusammenstehen innerhalb Deutschlands, sondern Europas ankommt. Er hat sogar Animositäten gegenüber Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hintangestellt und diesen mit den Regierungschefs aus Tschechien und der Slowakei ins Kanzleramt nach Berlin geladen. Sicherlich war auch der Hintergedanke dabei, dass gemeinsam mehr Druck auf die Europäische Kommission ausgeübt werden könne, Geld für die Hochwasseropfer lockerzumachen. Aber auch der Erfahrungsaustausch spielte eine wichtige Rolle. Die Hochwasserkatastrophe hat Schröder auch vor einem Irrweg bewahrt. Denn der SPD-Politiker bewegte sich mit dem von ihm im Wahlkampf seit kurzem benutzten Slogan vom "deutschen Weg" auf gefährlichem Terrain. Damit wollte er eine Vorrangstellung deutscher Interessen suggerieren. Dieser "deutsche Weg" ist von den Fluten weggespült worden und hat Platz gemacht für eine nationale Kraftanstrengung, die zur Bewältigung der Flutkatastrophe notwendig ist. Es ist eine Nagelprobe nicht nur für das Zusammenwachsen in Deutschland, sondern auch in Europa. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2002)