Dieses Mal hat Wladimir Putin zumindest schneller als im August 2000 reagiert und den Absturz des größten Hubschraubers der russischen Armee in Tschetschenien das genannt, was er ist: eine Katastrophe. Denn die Bruchlandung in einem Minenfeld mit mehr als hundert Toten wird als ebenso dramatisches Ereignis in die Geschichte des neuen Russlands eingehen wie der Untergang der "Kursk" vor zwei Jahren (118 Opfer). Ob Nachlässigkeit, technisches Versagen oder Abschuss durch die Rebellen - der Absturz des Transporthubschraubers ist für Russlands Generäle dabei in jedem Fall ein Desaster.Denn drei Jahre nach dem Beginn des neuen Feldzugs gegen Grosny, mit dem Putin seine Statur als russischer Präsident begründen wollte, ist der Tschetschenienkrieg noch immer nicht gewonnen. Täglich sterben acht bis zehn Menschen - Zivilisten wie Militärs - bei Anschlägen in der Kaukasusrepublik. Der Absturz der MI-26 kam zudem zu einer Zeit intensiver Guerilla-Aktivität. Dass die Rebellen versuchten, durch vermehrte Überfälle auf russische Soldaten Verhandlungen mit Moskau zu erzwingen, ist eine wenig überzeugende Erklärung. Das Gegenteil ist der Fall. Moskau hat die fortgesetzten Angriffe tschetschenischer Rebellen zum Anlass genommen, um dem benachbarten Georgien, das als Rückzugsgebiet dient, unverhüllt mit einer militärischen Intervention zu drohen. Tschetschenien ist die schmutzige Seite von Putins Russland, das sich sonst gern als prowestlich, kooperativ und modern präsentiert. In einer beeindruckenden Kehrtwende haben die EU-Regierungen nach dem 11. September alle Einwände gegen Moskaus Krieg fallen gelassen: Die Antiterrorkoalition verpflichtet. Ähnlich wie einst die aufgebrachten Angehörigen der "Kursk"-Opfer sind es nun vielleicht die Hinterbliebenen der Opfer des Hubschrauberabsturzes, die den Präsidenten zwingen werden, seinen Krieg im Kaukasus zu begründen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.8.2002)