Rot-Grün schickt Pläne der Arbeitsmarkt-Kommission auf den Weg - Arbeitslosenzahl zu halbieren ist das Ziel
Redaktion
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Berlin - Die deutsche Rot-Grün-Regierung hat die
Vorschläge der Hartz-Kommission verabschiedet und will innerhalb von
zwei Wochen einen Zeitplan für die Umsetzung vorlegen. "Die Eckpunkte
sind beschlossen", sagte Arbeitsminister Walter Riester (SPD) am
Mittwoch in Berlin.
Die Hartz-Kommission hatte eine radikale Reform der
Arbeitsmarktpolitik und der Bundesanstalt für Arbeit empfohlen. So
soll Zeitarbeit und Niedriglohnsektor ausgeweitet werden. Die
Vermittlung von Arbeitsplätzen soll beschleunigt werden. Die
Zumutbarkeit bei der Job-Suche wird verschärft. Arbeitslose sollen
sich als Ich-AG steuerbegünstigt selbstständig machen können. Die
Reformen sollen sich durch Einsparungen selbst finanzieren. Die von
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eingesetzte Kommission war von
VW-Personalvorstand Peter Hartz geleitet worden. Sein proklamiertes
Ziel ist, die Arbeitslosenzahl binnen drei Jahren um zwei Millionen
zu reduzieren.
Halbierung der Arbeitslosen
Die Ich-AG, so genannte Job-Floater und
AusbildungsZeit-Wertpapiere, neue Zumutbarkeitskriterien, schnellere
Vermittlungspraktiken und PersonalSericeAgenturen (PSA), die ähnlich
wie Zeitarbeitsfirmen arbeiten, finden sich unter den
Reformvorschlägen für den deutschen Arbeitsmarkt, die eine 15-köpfige
Kommission unter der Leitung des VW-Personalvorstands Peter Hartz
erarbeitet und vergangenen Freitag in Berlin Bundeskanzler Gerhard
Schröder übergeben hat.
Erklärtes Ziel der Kommission ist die Halbierung der
Arbeitslosigkeit von 4 auf 2 Millionen Menschen binnen drei Jahren.
Damit könnten bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe Einsparungen
von 19,6 Mrd. Euro erreicht werden, heißt es im Bericht. Pauschale
Leistungskürzungen für Arbeitslose, eine Amnestie für
Steuerflüchtlinge oder auch eine Anleihe von insgesamt 150 Mrd. Euro
waren während der mehr als fünfmonatigen intensiven Beratungen des
Gremiums zwar diskutiert, dann aber doch verworfen worden.
PersonalServiceAgenturen
Das "Herzstück" des Vorschlags sind, so steht es im Bericht, die
PersonalServiceAgenturen (PSA) und damit die Überlegungen zur
Liberalisierung der Zeitarbeit. Arbeitsämter und Sozialämter sollen
organisatorisch zusammengelegt, zu Job-Centern umgebaut und der
Service für Arbeitslose wie Arbeitgeber verbessert werden. Allen
Arbeitsämtern sollen PSA angegliedert werden. Sie werden entweder von
privaten Firmen, von den Behörden selbst in privater Rechtsform, oder
aber in einer Kooperation zwischen privaten Unternehmen und den
Ämtern betrieben.
Diese Agenturen sollen Arbeitslose sozialversicherungspflichtig
und mit Kündigungsschutz anstellen und dann an interessierte
Unternehmen entleihen. Vorteil für die Betriebe: Sie unterliegen für
die entliehenen Erwerbstätigen faktisch nicht den
Kündigungsvorschriften. Die PSA erhält für jeden eingestellten
Arbeitslosen einen Zuschuss zu den Lohnkosten. Während einer maximal
sechsmonatigen Phase erhält der Arbeitslose ein Entgelt in Höhe des
Arbeitslosengelds, danach ein Tarifgehalt. Wechselt ein Arbeitnehmer
in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis, bekommt er den dort
üblichen Lohn.
"Klebeeffekt"
Mit der Idee ist die Hoffnung verbunden, über den so bezeichneten
"Klebeeffekt" Arbeitslose dauerhaft an den Entleiher vermitteln zu
können. Wer als Erwerbsloser den PSA-Job ablehnt, der hat mit
"leistungsrechtlichen Konsequenzen" zu rechnen. Die Hartz-Kommission
plädiert für eine Aufhebung des Verbots der Zeitarbeit im
Bauhauptgewerbe. Unternehmen, die zusätzlich Arbeitslose einstellen
oder keine Arbeitnehmer entlassen, sollen künftig Vergünstigungen
erhalten.
Um Betrieben die Einstellung von Älteren zu erleichtern, sollen
die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung für diese Personen für
einen gewissen Zeitraum gesenkt und die Möglichkeiten der befristeten
Beschäftigung Älterer erweitert werden, indem die Altersgrenze für
die erweiterte Befristungsregelung von 58 Jahre auf 50 Jahre
vorverlegt wird. Ältere Arbeitslose sollen auf eigenen Wunsch mit 55
Jahren aussteigen können und bis zur Frührente mit 60 ein
verringertes Arbeitslosengeld beziehen.
Wer gekündigt wird, muss sich künftig bereits zum Zeitpunkt der
Kündigung arbeitslos melden, damit die Kündigungsfrist für die
Vermittlung genutzt werden kann. Verspätete Meldungen der Kündigung
werden mit pauschalen Abzügen vom Arbeitslosengeld sanktioniert - je
nach Höhe des Arbeitslosengeldes 7, 35 oder 50 Euro pro Tag. Durch
eine möglichst schnelle Vermittlung soll die Dauer der
Arbeitslosigkeit im Schnitt von 33 auf 22 Wochen verkürzt
werden.
Neue Selbständigkeit und weniger Pfusch
Die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose sollen in Deutschland
verschärft werden, schlägt die Hartz-Kommission des weiteren vor. Wer
das Angebot für einen Arbeitsplatz ablehnt, muss mit Kürzungen
rechnen.
Im Niedriglohnbereich soll nach den Vorstellungen der
Hartz-Kommission vor allem durch die so genannten Ich-AGs und durch
Mini-Jobs die Schwarzarbeit reduziert und die Selbstständigkeit
gefördert werden.
Die Ich-AG ist als Vorstufe zu einer vollwertigen
Selbstständigkeit gedacht. Als Anreiz für die Anmeldung einer Ich-AG
erhalten Arbeitslose für drei Jahre Zuschüsse vom Arbeitsamt. Als neue Finanzierungsinstrumente schlägt die Hartz-Kommission den
JobFloater und das AusbildungsZeit-Wertpapier (AZWP) vor. Der
JobFloater kann allen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, die
einen neuen Arbeitsplatz schaffen und über entsprechende Bonität
verfügen. Stellt ein Unternehmen einen Arbeitslosen nach Ablauf der
Probezeit dauerhaft ein, erhält es "die Option auf ein
Finanzierungspaket in Form eines Darlehens". Der ehemals arbeitslose
Beschäftigte hinterlegt dazu beim Arbeitgeber den JobFloater als
Gutschein, den dieser dann bei seinem Kreditinstitut vorlegen kann.
Förderkredit
Das Darlehen, das aus einem Förderkredit und einem
Nachrangdarlehen besteht, erhält das Unternehmen über seine Hausbank,
refinanziert wird es über die staatseigene Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW). Die Mittel zur Refinanzierung besorgt sich die
KfW am Kapitalmarkt. Die Höhe des Kredits kann bis zu 100.000 Euro
pro Arbeitslosem betragen. Die Kommission rechnet mit einem
Fördervolumen über die Anleihe von jahresdurchschnittlich 5 Mrd.
Euro. Sollte der "Floater" jedoch schneller starten und sich als
"Renner" erweisen, könnte möglicherweise auch das doppelte Potenzial
von rund 10 Mrd. Euro pro Jahr erreicht werden. Dieses Volumen ergäbe
sich bei einem JobFloater von 100.000 Euro je Arbeitslosem und einer
Vergabe für 100.000 Arbeitnehmer pro Jahr.
AusbildungsZeit-Wertpapier
Das AusbildungsZeit-Wertpapier (AZWP) ist als zweck- und
personengebundenes Wertpapier gedacht, das dem Inhaber eine
Ausbildung garantiert. Die Finanzierung beruht auf Freiwilligkeit und
erfolgt über ein Rabattkartensystem, den Erwerb von AZWP, Zuschüsse
und Spenden für den Kapitalstock und Maßnahmen. Die Umsetzung
übernimmt eine gemeinnützige lokal oder regional organisierte
Stiftung. Den AZWP-Inhabern wird über eine mündelsichere Anlage am
Kapitalmarkt eine Ausbildungsfinanzierung garantiert.
Die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) mit Sitz in Nürnberg muss sich
auf eine grundlegende Neustrukturierung einstellen. Kernaufgaben
sollen die Vermittlung, vermittlungsfördernde Leistungen und die
Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit sein. Aufgaben, die außerhalb
dieser Kernbereiche liegen, werden künftig ausgelagert oder nicht
länger durch die Beitragsleistungen finanziert, so der Hartz-Bericht.
Die neuen, zu JobCentern umgestalteten Arbeitsämter sollen erweiterte
Budgetkompetenz erhalten. Mittelfristig wird eine öffentlich
geförderte Beschäftigung nach Einschätzung der Kommissionsmitglieder
weiter unverzichtbar bleiben, sollte aber steuerfinanziert werden. (APA/Reuters)
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